Vater und Sohn, unterwegs auf der Schwäbischen Alp. Ersterer zeigt seinem Jungen die Gegend, in der er aufgewachsen ist. Doch statt ländlicher Idylle und Familienharmonie erzählt Bov Bjerg in Serpentinen von Depressionen, Traumata und Suizid. Soviel vorweg: Dieser Roman ist nichts für schwache Nerven.
Bereits auf der ersten Seite legt der namenlose Vater und Ich-Erzähler die Karten offen auf den Tisch. Sein eigener Vater, sein Großvater und auch sein Urgroßvater hätten sich allesamt das Leben genommen. Und er ist sich sicher, dass auch er einmal an seinen Depressionen zerbrechen wird. Besuchen Vater und Sohn also vordergründig Museen und Dörfer der Region, so mahlen im Kopf des Erzählers unablässig die Mühlen der Erinnerung und von „Legenden, Lügen, Familienbla.“ Wir lesen von der Nazi-Vergangenheit des Vaters (des Erzählers), von einer menschenfeindlichen christlichen Sozialisation, von der Abscheu vor der eigenen Herkunft und jeder Menge Scham. Über all dem schwebt die Frage, ob es dem Erzähler möglich sein wird, sich zu befreien von der Kontinuität männlicher Gewalt. Spoiler: Es wird schwer.
Denn viel zu tief steckt der Vater bereits drin in seiner Abwärtsspirale. Zwar tut die Zeit zu zweit beiden offensichtlich gut und die herzerwärmende Vater-Kind-Beziehung, die hier beschrieben wird, lässt eine*n auch mal lachen. Doch wenn er ein Bier nach dem anderen in sich hineinkippt, wenn er tagelang sein Handy ausgeschaltet und in einer Blechdose liegen lässt, um ja nicht zu orten zu sein, wenn er sogar über den Mord am eigenen Sohn phantasiert, dann macht das ganz schön mulmig.
Serpentinen ist ein stimmungsvoller, weil bis ins letzte Satzzeichen durchkomponierter Roman. Wie Bjerg zahlreiche Erzählebenen sich kreuzen lässt und besagte Kontinuität schon rein sprachlich herstellt, ist kein bisschen abgedroschen, sondern wirklich kunstvoll. Und bei all der Tragik – zum Schluss bleibt doch ein bisschen Hoffnung.
SERPENTINEN | Bov Bjerg | ROMAN Claassen | Berlin 2020 | 272 S. | € 11,00
Felix Krause
liest alles vom Klassiker bis zur Millenial-Pop-Literatur. Der Absolvent des Masterstudiengangs Transnationale Literaturwissenschaft hat vier Jahre in Bremen verbracht. Nun lebt er wieder in Leipzig. Neben journalistischen Arbeiten tobt er sich gerne in alle Richtungen kreativ aus. Er gehört zum Team des Literaturhaus Podcasts.