Satzwende: Leyla Bektaş (1/2)

Kinder mit Gummistiefeln stehen nebeneinander.
© Ben Wicks on Unsplash

Über Trost und Trotz

Von Leyla Bektaş

"Laß ab von diesem Zweifeln, Klauben,

vor dem das Beste selbst zerfällt,

und wahre dir den vollen Glauben

an diese Welt trotz dieser Welt."


So beginnt das Gedicht Glaube an die Welt von Theodor Fontane. Nachdem ich gehört hatte, dass das Motto der diesjährigen globale° ihm entnommen ist, habe ich mich direkt auf die Suche danach gemacht. Vielleicht, so dachte ich, kann es nicht schaden, in unseren düsteren Zeiten mal wieder ein paar Klassiker, sprich alte Herren, zur Hand zu nehmen.

Vielleicht, so hoffte ich, können wir in unserer krisengeschüttelten Gegenwart ja etwas von ihnen lernen! 

Und tatsächlich spricht mir die erste Strophe des Gedichts direkt aus der Seele. Wie gut ich das kenne, dieses Zweifeln, das selbst das Beste zerfallen lässt! Gespannt lese ich weiter. 


"Schau hin auf eines Weibes Züge,

das lächelnd auf den Säugling blickt,

und fühl’s: es ist nicht alles Lüge,

was uns das Leben bringt und schickt."


Na toll. Frauen sollen es mal wieder richten. Die gute Nachricht aus dem Jahr 1895 lautet: Reproduktion. Die Welt dreht sich weiter. Frauen werden schwanger und lieben ihre Kinder. Frauen und Kinder (offenbar eine Einheit) bilden das Gegenstück zur boshaften Welt oder sogar der Welt schlechthin. Weltabgewandt bieten sie Trost und Hoffnung.

Enttäuscht lege ich das Gedicht zur Seite. 

Diese Logik, dass die einen das Chaos aufwischen, das andere hinterlassen haben, sollten wir doch längst überwunden haben, oder? 


Zufällig fällt mir in diesen Tagen ein anderer Text in die Hand. 

„Die Weiber werden noch mehr Soldaten gebären“ ist eine russische Redewendung, die Sofi Oksanen in ihrem Essay Putins Krieg gegen die Frauen analysiert. Redewendungen spielen der misogynen Machtpolitik des Systems Putin in die Hand, in der Feministinnen zu Terroristinnen erklärt werden und eine traditionelle Rollenverteilung zur ideologischen Exportware wird, um Demokratien weltweit zu schwächen und autoritären Regierungen den Rücken zu stärken. Etwas, was uns auch hier zu denken geben sollte. 

Auch wenn es sicherlich nicht im Sinne Fontanes war, das unschuldige, ja reine Kind zu einem Soldaten zu erziehen, ist es sicherlich ebenso wenig hilfreich, alle Hoffnungen auf eine „bessere“ Zukunft auf das Kind zu projizieren. 

Nicht nur hat es keiner gefragt, ob es auf diese Welt kommen wollte. Zusätzlich soll es als Hoffnungspflaster der älteren Generationen hinhalten. 

Da ist Verweigerung oder Trotz vielleicht die einzige Lösung, die noch verbleibt. Sollten wir uns nicht fragen, welche Zukunft wir noch gestalten können? Und wie wir unseren Kindern von der Gegenwart erzählen?


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Porträt von Leyla Bektas
© Rike Oehlerking

Leyla Bektaş 

wurde 1988 in Achim geboren und wuchs als Tochter einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters in Bremen auf. Sie studierte Romanistik in Köln, mit Stationen in Bordeaux und Mexiko-Stadt, später Literarisches Schreiben in Leipzig. Sie arbeitete als Dozentin für spanischsprachige Literatur, als Trainerin für Deutsch als Fremdsprache und gibt regelmäßig Seminare und Workshops für Kreatives Schreiben. Ihre Texte erschienen in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien (u.a. poetin, Tippgemeinschaft). Ihr erster Roman Wie meine Familie das Sprechen lernte, für den sie 2020 das Bremer Autorenstipendium erhielt, erschien im Herbst 2024 bei Nagel und Kimche.

Zum Autorinnenprofil von Leyla Bektaş

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