Das Gedicht als Augenblick von Freiheit
Do, 06. März 2025
10.00 Uhr
Universität Bremen Akademie für Weiterbildung, Bibliothekstraße 2a, 28359 Bremen (hybrid: präsent und/oder online)
„Nur eine Rose als Stütze“ so lautete der erste Gedichtband von Hilde Domin, mit dem sie 1959 an die Öffentlichkeit trat und eine bemerkenswerte Karriere als Lyrikerin, Essayistin und Romanautorin begann. 1909 als Kind jüdischer Eltern in Köln geboren durchlitt sie die Bedrohungen und Verfolgungen des Faschismus, hatte das „Glück“ (wenn man das so sagen kann) 1940 über Italien und England in die „Dominikanische Republik“ fliehen zu können, einem faschistischen Staat in der Karibik, der seine Bevölkerung „aufweißen“ wollte. Als promovierte Staatswissenschaftlerin war Hilde Domin vor allem für ihren Mann, einem Archäologen, Kunsthistoriker und Altertumsforscher als Mitarbeiterin und Übersetzerin tätig. Erst ab 1951 begann sie Gedichte zu schreiben und seit ihrer Rückkehr nach Deutschland 1954 auch zu veröffentlichen. Gleichzeitig arbeitete sie auch als Herausgeberin und schaffte ein umfangreiches Werk an theoretischen Schriften. Aus ihrem Buch „Wozu Lyrik heute?“ (1968) gestaltete sie 1987/88 im Rahmen der Frankfurter Poetik-Vorlesungen eine Vortragsreihe „Das Gedicht als Augenblick von Freiheit“, in der sie sich u.a. auf ein Buch des Schweizer Schriftstellers und Psychologen Adolf Muschg beruft: „Literatur als Therapie?“, das ebenfalls (1981) als Frankfurter Poetik-Vorlesung erschienen war.
Dieser Fragestellung von Muschg: Lässt sich Literatur als therapeutische Maßnahme, als „Heilkraft“ einsetzen? - möchte ich anhand der Gedichte von Hilde Domin nachgehen. „Aus Leid“, sagt sie, „entstehen viel mehr Gedichte als aus Freude. Ein Gedicht ist ein Augenblick der Freiheit, der aus dem Benennen einer Erfahrung geboren wird. Wenn der Mensch formulieren und objektivieren kann, was er empfindet, dann ist damit eine Befreiung verbunden, ähnlich wie in der Beichte oder auf der Couch beim Psychiater“.
So können wir bei der Besprechung ihrer Gedichte (von denen Ihnen eine Auswahl aus den „Gesammelten Gedichten“ zur Verfügung gestellt wird) mit folgenden Thesen arbeiten:
- Lyrik, sagt Hilde Domin, hat immer etwas mit dem „Ich“ und dem „Du“ zu tun, ist immer ein Ausdruck der Sehnsucht nach einem Gegenüber, im weitesten Sinne ein Wunsch nach Liebe.
- Lyrik lädt uns ein zu der einfachsten und schwierigsten aller Begegnungen, der Begegnung mit uns selbst.
- Lyrik eröffnet Räume zum Spielen, sie ermutigt uns zum spielerischen Umgang mit dem Wort und steht somit immer „auf der Seite der Hoffnung“ (Adolf Muschg)
- Das Gedicht weckt im Lesenden Emotionalität und Menschlichkeit und kann somit auch wirksam werden in gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen (Jean Paul: „Im Dichter kommt die Menschheit zur Besinnung und zur Sprache“)
- Lyrik kann heilen, wenn wir an die „umschmelzende Kraft der Tränen“ (Alice Miller) glauben können und an die Kunst als „Axt, die das gefrorene Meer in uns spaltet“ (Franz Kafka)
Wir können anhand der Lyrik von Hilde Domin diesen Thesen nachgehen und überprüfen, wie weit wir als Leser-I-nnen mit diesem „magischen Gebrauchsgegenstand Gedicht“ (H.D.) umgehen können. Ob wir z.B. das Gedicht „Nur eine Rose als Stütze“ so interpretieren, wie es Hilde Domin verstanden haben könnte: als Allegorie für eine unfassbar gefährdete Welt, in der man sich (wie es in der ersten Strophe heißt) dennoch
„… ein Zimmer (einrichtet) in der Luft
unter den Akrobaten und Vögeln
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äußersten Spitze des Zweiges“
Vielleicht kann das für manchen auch eine Anregung zu eigenen Schreibversuchen sein.
Eintritt €45
Anmeldung: 0421 21861616
oder hier