Satzwende: Anke Stelling (2/2)

Umriss eines abgerissenen Hauses
© Rike Oehlerking

II

Von Anke Stelling

Als Aktionärin hab ich völlig andere Probleme. Wird was ausgeschüttet, muss ich’s aufnehmen. Danach sind meine Taschen voll, und ich komm nicht mehr vom Fleck, werde immer bigger und bigger, bis ich too big to fail bin und zwangsläufig andere für mich flexibel sein und arbeiten müssen. Unangenehm ist das, deshalb nenn ich’s auch nicht so, sondern sage, dass mein Geld für mich arbeitet. Es wird aus sich selbst heraus immer mehr. Meine Aktien steigen wie die Flut. Ich sehe nicht mehr durch, ich werde weggerissen. Da schwimme ich also jetzt im Geld und wünschte, dass ich noch was sähe, aber ich trau mich gar nicht, richtig hinzugucken. Ich hab’s verdient!, rufe ich, denn das macht man doch mit Geld: Man verdient es. Und legt es an, wer das nicht tut, ist doof. Also lege ich an und blende aus, lege an, blende aus, immer weiter. Bis ich überhaupt nur noch Zahlen sehe, Erträge und Verluste, und verlieren mag ich nicht, also muss ich wohl oder übel die Lücken meines Mietertrags schließen, aufdass sich darin keine mittellosen Menschen sammeln, einnisten, die krieg ich doch nie wieder raus, die vermehren sich und wollen ihr Wohnen plötzlich zum Grundrecht erheben. Halt! Nicht mit mir. Ich versteh auch gar nicht, wovon die reden. Was woll’n die denn? Soll’n sie doch woanders wohnen, als ausgerechnet in meinen Wohnanlagen, halt, falschrum gesagt, in meinem Anlagewohnen. Denn Wohnen muss sich nun mal lohnen, sonst reimt sich das für mich nicht. Ohne Dividende bin ich bald am Ende!, ja, das wird hier jetzt langsam bisschen irre, aber so bin ich nun mal: Aktionärin. Ich hab’s mit Geld, nicht mit Inhalten.

Jetzt würdet ihr wiederum mich ganz gerne mal wieder loswerden, liebe Leserinnen und Leser der Schönen Literatur, ja? Weil das hier langsam zu langweilig wird. Aber Pech. Ich habe die Schriftstellerin verdrängt, die konnte sich das hier nämlich nicht mehr leisten, nachdenken über Mietertragslücken für – was kriegt sie? Dreihundert Euro für viertausend Zeichen? Haha! Sie muss jeden Monat zweitausend allein für die Miete abdrücken, hat sie neulich an dieser Stelle geleakt, also mach ich das jetzt für sie fertig und sie sucht sich ’nen ordentlichen Job. Wieviel hamwer noch? Okay, noch dreiundzwanzig. Ohne Leerzeichen, mit Lücken ham die’s vom Literaturhaus nämlich auch nicht so. Ach siehste: Jetzt bin ich doch schon drüber. Alles, was jetzt noch kommt, ist ein Bonus, aber den geb ich nicht, den krieg ich bloß, also ciao.

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Anke Stelling liest aus ihrem Buch.
© Rike Oehlerking

Anke Stelling

widmet sich den brennenden Themen unserer Gesellschaft: In ihren Büchern steckt immer Politik. Die Art, wie wir wohnen, ist für sie die zentrale soziale Frage unserer Zeit. In ihren Romanen und Erzählungen macht Stelling unsere Wohnsituationen zum Ausgangspunkt von sozialpsychologischer Gesellschaftskritik. Auch ihr jüngster Text Plastikteile beschreibt den letzten Wohnraum einer Frau: das Krankenzimmer, in dem sie stirbt. Anke Stelling ist im September zu Gast in der Lesereihe Satzwende.

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