Satzwende: Anke Stelling (1/2)

Hauswand am Abriss
© Rike Oehlerking

I

Von Anke Stelling

Letzte Woche hab ich ein neues Wort gelernt, es heißt Mietertragslücke.
Als Schriftstellerin lerne ich gern neue Wörter und denke dann über sie nach.
Lücke ist ansich schon ein schönes Wort, finde ich, mit dem lustigen Umlaut und dem weichen Konsonant vorne und dem kecken Doppelkonsonant in der Mitte.
Mietertrag ist so ein Wort, bei dem man beim Lesen stolpert, wie Blumentopferde. Mietertrag? Nein: Miet-ertrag!
Und Ertrag ansich ist auch super. Im Tech-Sprech ist das die Summe der wirtschaftlichen Leistung, aber ich assoziere als Erstes ertragen, sprich: eine unangenehme oder schwierige Situation hinnehmen und deswegen nicht die Beherrschung verlieren oder zusammenbrechen.

Zur Zeit zahl ich über zweitausend Euro Miete pro Monat.
Geht doch gar nicht, denkst du jetzt, und ich denk das auch, aber klar geht das. Is’ halt so! Kostet’s eben. Ich muss da ja nicht wohnen. Geh ich halt woanders hin! Zum Beispiel nach da, wo’s noch Mietertragslücken gibt.
Aber bisschen schnell jetzt.

Das Wesen der Lücke besteht nämlich darin, dass sie geschlossen wird. Wo eine Lücke ist, fehlt was. In Baulücken fehlt ein Bau, in Zahnlücken fehlt ein Zahn. Das sieht nicht gut aus und kann zu größeren Problemen führen. Dass sich da was verschiebt oder ansammelt: der Mietspiegel, die Kauflächen, Sperrmüll, Bakterien.
In Mietertragslücken sammeln sich gerne mal Mieter ohne Geld, und wozu gibt’s die überhaupt, wenn sie nicht zahlen können? Ein Mieter ist einer, der Miete bezahlt, und zwar möglichst viel. Damit sich das auch rechnet. Amortisiert. Rentiert! Was damit alles bezahlt werden muss… Es ist nicht schön, Aktionäre im Nacken zu haben. Lücke!, rufen die unentwegt, Lücke! Stopf die gefälligst, du Aktiengesellschaft, ich will mehr!
Den Mut zur Lücke gibt es zwar auch, doch sind damit meistens nur Wissenslücken gemeint. Ertragslücken sind und bleiben unangenehm und zu schließen, und zwar sowohl die der wirtschaftlichen Leistung, als auch die der beherrschten Hinnahme. Bei den einen bricht die Finanzierung zusammen, bei den anderen reißt das Nervenkostüm.

Ich weiß echt nicht, wie lang ich’s noch aushalte: Mir regelmäßig eine neue Lücke suchen zu müssen. Trockenwohnen, weiterziehen, aufwerten, weggescheucht werden; mit zwanzig war das vielleicht noch ganz witzig (nein, war es nicht), jetzt mit fünfzig geht mir so langsam die Puste aus. Lieber wechsle ich die Perspektive als ein weiteres Mal die Wohnung. Als Schriftstellerin kann ich das ja leicht! Dann bin ich einfach keine Mieterin mehr, sondern ab sofort Aktionärin.

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Anke Stelling liest aus ihrem Buch.
© Rike Oehlerking

Anke Stelling

widmet sich den brennenden Themen unserer Gesellschaft: In ihren Büchern steckt immer Politik. Die Art, wie wir wohnen, ist für sie die zentrale soziale Frage unserer Zeit. In ihren Romanen und Erzählungen macht Stelling unsere Wohnsituationen zum Ausgangspunkt von sozialpsychologischer Gesellschaftskritik. Auch ihr jüngster Text Plastikteile beschreibt den letzten Wohnraum einer Frau: das Krankenzimmer, in dem sie stirbt. Anke Stelling ist im September zu Gast in der Lesereihe Satzwende.

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