Aufklären und bereit machen: Young Adult und New Adult vorgestellt

Wenn wir an Lust in der Literatur denken, führt heute kein Weg an New Adult und Young Adult mehr vorbei. Kjara von Staden beschäftigt sich wissenschaftlich mit den Genres. Bei einem Gespräch mit Annika Depping – passenderweise an der Universität - hat sie mehr über Aufklärung, LGBTQ und den Erfolg des Genres erzählt.

Das Porträt zeigt eine junge Frau.
© privat

New Adult, Young Adult, Dark Romance – all diese Genres sind total beliebt. Was sind die Unterschiede eigentlich?

Young Adult ist noch sehr im kindlichen Leben verwurzelt. Die Protagonist*innen gehen zur Schule, wohnen bei ihren Eltern und machen erste Erfahrungen mit Sex und Liebe, aber in Young Adult gibt es keine expliziten Sex-Szenen. Da wird wie im Film abgeblendet, maximal wird beschrieben, wie die Figuren sich ausziehen. New Adult hingegen ist an der Grenze zwischen Jugend- und Erwachsenenliteratur – wie in dem Britney-Spears-Song: „Not a Girl, Not Yet a Woman“. Genau das deckt New Adult ab, das Zwischenstadium. Die Figuren sind oft an der Universität, starten ins Erwachsenenleben und dann spielt Selbstfindung eine wichtige Rolle. Da ist natürlich klar, dass die Autor*innen über Sex schreiben. Und tatsächlich verschwimmen die Grenzen zwischen Young und New Adult gerade auch zunehmend. Dann gibt es zum Beispiel noch das Genre Dark Romance, in dem es nur um Sex geht – und die Romane sind dann wirklich oft fragwürdig, mit toxischen Beziehungen und Spielchen. New Adult ist ganz anders, da geht es darum, aufzuklären und bereit zu machen.

Worum genau geht es dann?

Da werden wirklich viele Themen aufgegriffen. Es geht zum Beispiel nicht nur um heterosexuellen Sex, sondern auch viel um LGBTQ. Wie läuft das da ab? Weil das natürlich viele Personen auch nicht genau wissen. Generell hat New Adult einen richtigen Aufklärungsauftrag. Auch im Hinblick auf Verhütung oder körperliche Beeinträchtigung und – das ist ja dann dein Thema – Lust. Wie funktioniert sie beim Mann und bei der Frau, wie kann man sich ausprobieren, damit Sex Spaß macht. Und dass es nicht beim ersten Mal klappt, logischerweise. Sex wird in New Adult teilweise richtig entmythifiziert. Viele Themen wollen junge Menschen nicht mit ihren Eltern besprechen – und ganz ehrlich, oft können die Eltern die Fragen auch nicht beantworten. Die Romane geben Antworten.

Ich stelle mir ehrlichgesagt vor, dass das Genre viele Klischees reproduziert, auch in Hinblick auf Sex und Beziehungsmodelle. Wie siehst du das?

Natürlich wird romantisiert, denn klar möchten Leser*innen ja auch ästhetischen Genuss haben. Aber es geht schon darum, dass die Leser*innen erfahren, was beim ersten Mal auf sie zukommt. Viele Romane sind richtig empowernd und bereiten Leser*innen darauf vor, zum Beispiel sagen zu können, was sie möchten. Aber natürlich gibt es, gerade im Self-Publishing, sehr stereotypisierte Figuren und auch viel Kitsch. 

Tatsächlich hat sich das Genre in den letzten Jahren auch echt entwickelt. Es fing in Deutschland mit Mona Kasten an, einer Autorin, die New Adult aus dem USA mitgebracht hat. Ihre Again-Reihe damals hatte noch eine geringe Handlungsdichte. Inzwischen hat man deutlich mehr Suspense-Elemente und mehr Gewicht auf der Handlung. Dazu kommen eben Themen wie LGBTQ oder Mental Health, die immer wichtiger geworden sind. Aber die Vorurteile dem Genre gegenüber sind weiterhin sehr groß.

Würdest du sagen, das Genre richtet sich klar an Frauen?

Die Leser*innen sind mehr Frauen als Männer, logischerweise. Aber teilweise gibt es auch männliche Leser, für die es vielleicht interessant ist, sich in die Psyche von weiblichen Figuren reinzudenken. Die meisten Romane sind nämlich multiperspektivisch abwechselnd aus der Ich-Perspektive einer Frau und eines Mannes erzählt. Zum Beispiel auch Sex: Wie sieht er das, wie sieht sie das? Gerade auf Körperbilder bezogen ist das spannend, da geht es dann um eigene Unsicherheiten, während der*die Partner*in sich gar nicht an Fettpölsterchen oder ungleichen Brüsten stört. Das ist sehr reflexiv. Und klar ist aber auch: Meistens schreiben Frauen Young und New Adult. Das Standing ist schon, dass es eine Literatur von und für Frauen ist. Männer bedienen aber insbesondere den LGBTQ-Bereich.

Auf der Buchmesse habe ich gemerkt, wie unglaublich viele Fans es gibt. Das Genre ist total erfolgreich – woran liegt das deiner Meinung nach neben der Identifikation mit den Figuren?

Das Genre wächst furchtbar und es gibt unglaubliche Verkaufszahlen. Ein New-Adult-Roman steht immer auf der Spiegel-Bestsellerliste. Meistens sind das keine amerikanischen Importe, sondern vor allem deutsche Autor*innen. 

Das Cover zeigt zwei sich küssende Personen.

Dadurch, dass die Autor*innen auf Social Media super aktiv sind, gibt es eine große Nähe zu den Menschen. Anna aus Gröbenzell schreibt dann zum Beispiel auf Insta, sie ist gerade am Plotten und holt sich Ideen aus ihrer Community. Dort gibt es sehr viel Austausch. Ein weiterer Grund ist gerade in diesen Zeiten auch das Bedürfnis, einfach abzuschalten, ohne riesige intellektuelle Herausforderungen einfach mal eine Geschichte zu genießen. Das bedient New Adult natürlich auch.

Du hast in Seminaren und auch in deiner Dissertation New Adult Romane mit einbezogen. Bist du die einzige?  

Wissenschaftlich wird das Genre gar nicht beachtet. Ich habe in meiner Dissertation teilweise aus New-Adult-Romanen zitiert, obwohl ich wusste, dass das für viele nicht seriös wirken würde. Aber es passte thematisch zu meiner Arbeit über Metanarration. Als ich ein Seminar zum Thema New Adult angeboten habe, waren die Anmeldezahlen hingegen sehr hoch. Wir haben forschend gearbeitet und interessante Ergebnisse erzielt. Auch im kommenden Semester werde ich ein Seminar zum Thema anbieten. Trotzdem ist das Thema an der Uni nicht anerkannt. In Australien gibt es eine Wissenschaftlerin, Jodi McAlister, die in diesem Feld forscht und auch etwas publiziert hat, aber das war’s. Dabei kann man natürlich verfolgen, woher sich das Genre literaturgeschichtlich entwickelt hat. Ich denke zum Beispiel an Backfischromane, in deren Tradition New Adult und Young Adult steht, auch wenn man damals über Sex nicht schreiben durfte. 

Ich drücke dir die Daumen, dass sich die Wahrnehmung ändert. Vielen Dank für das Interview!


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