„Ich will immer woandershin“ steht auf dem T-Shirt, das sich Masha gleich nach ihrer Ankunft in Wien gekauft hat. Und dann noch ein zweites davon. Wien soll trotzdem für die nächste Zeit ihr Lebensort sein, hier studiert sie Medizin – theoretisch. Tatsächlich geht sie so gut wie nie in die Vorlesungen, viel lieber verbringt sie ihre Zeit auf Dating-Apps. Als der ICE mal wieder auf halber Strecke stehen bleibt, lernt sie Iggy kennen, einen rothaarigen, hypochondrischen, bücherverschlingenden (nur Hardcover!) Nerd, der für seinen x-ten Bewerbungsfilm an der Filmhochschule die perfekten Grashalme sucht. Masha und Iggy ziehen einander magnetisch an. Sie baden zusammen im dreckigen Donaukanal, beklauen Kirche und Supermarkt, gurken auf einem blauen Fahrrad durch Wien, nisten sich bei einer schwerkranken Delikatessenverkäuferin ein und reisen letztlich mit ihr und einem geklauten Parmesanlaib nach Italien.
Es könnte eine klassische Girl meets Boy Liebesgeschichte sein, wären das hier nicht die 2020er und die Liebe mindestens so kompliziert und politisch, wie alles andere auf der Welt. Erzählt wird die Geschichte aus Mashas Sicht, und sie sieht einen Iggy, der die Realität als Film betrachtet: Alles, was passiert, muss eine gute Geschichte ergeben. Zudem verunsichert ihn die Tatsache, dass er als moderner Mann alle einschlägigen feministischen Theorien umsetzen will und dabei ständig an seine Grenzen stößt. Über alles können Masha und Iggy miteinander sprechen, es sind schließlich die 2020er, nur nicht über ihre Beziehung. Die bleibt im Ungefähren.
Ist das traurig? Absolut. Aber auch absurd komisch, herzwärmend und mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit erzählt. In den Worten von Kultautorin Barbi Markovic: „Super Buch! Legendäre Supermarktszenen und eine verstörend realistische Liebessituation. Jemand sollte eine HBO-Serie daraus machen. 5/5.“
Esther Willbrandt
PRINZIP UNGEFÄHR | Caspar-Maria Russo | ROMAN Residenz Verlag | Salzburg 2025 | 240 S. | €25,00
NEUland
ist die Bremer Bühne für die spannendsten literarischen Debüts der Saison. Drei talentierte deutschsprachige Autor*innen lesen am Sonntag, 27. April, aus ihren frisch erschienenen Debütromanen. Caspar-Maria Russo, Mascha Unterlehberg und Ta-Som Helena Yun schreiben über Rebellion und Selbstfindung, mit außergewöhnlichen Held*innen.
Esther Willbrandt ist Literaturredakteurin bei Radio Bremen Zwei und auch darüber hinaus in der Welt der Bücher zu Hause: Sie gehört zur Festivalleitung des Poesiefestivals poetry on the road, organisiert das neue Bremer Debütant*innenfestival NEUland und moderiert regelmäßig Autor*innenlesungen. Lesen konnte sie schon, bevor sie in die Schule kam. Wenn ihre Nase nicht zwischen zwei Buchdeckeln steckt, tanzt sie gerne und probiert Neues aus.