Brennpunkt Myanmar: Interview mit Indra Wussow

Punks in Myanmar
© Tuomo Manninen

Seit 20 Jahren öffnet Bremen seine Bühnen für die internationale Lyrikszene. Zum Festival poetry on the road kamen seitdem Hunderte von Poet*innen in die Stadt. Darunter auch Gäste aus Myanmar – wie zuletzt 2017 Han Lynn. Möglich gemacht hatte das Indra Wussow. Die Kuratorin, Autorin und Wissenschaftlerin lebt in Südafrika und bezieht das Literaturhaus in viele ihrer internationalen Projekte ein. Myanmar ist fast immer dabei. Was nach dem dortigen Militärputsch vom Austausch bleibt und wie es den Autor*innen im Land geht, das wollten wir gerne wissen. Silke Behl hat mit Indra Wussow ein Interview zum Thema geführt.

Indra, Du arbeitest seit mehreren Jahren eng mit Autor*innen und Künstler*innen aus Myanmar zusammen. Seit 2017 hast Du Dich deswegen auch über längere Zeit in Yangon aufgehalten und sogar überlegt, ganz dorthin überzusiedeln. Wie hast Du das Land in den letzten Jahren erlebt?

Myanmar ist ein Riesenland mit vielen Ethnien. Yangon erlebte ich erst einmal so, wie ich Johannesburg erlebe. Eine unglaubliche Diversität von Kulturen und Ideen, die das Leben aus so unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Das sind Orte, die mir sehr ans Herz wachsen. Heute klingt es oft so, als sei Myanmar vor dem Coup eine Demokratie gewesen, in der Menschenrechte respektiert wurden und Zensur nicht mehr stattfand. Das stimmt so nicht, ein befreundeter Lyriker verbrachte 2017 zwei Monate im Gefängnis, weil er ein Schmähgedicht auf das Militär geschrieben hatte.

In den Kulturprojekten meiner Stiftung und auch in meiner wissenschaftlichen Recherche arbeite ich viel über die Folgen von nicht aufgearbeiteten Traumata und auch dazu, was das Verschweigen in sozialen und individuellen (Denk)Räumen anrichtet. Myanmar hatte nur einen kurzen Weg zurückgelegt in Richtung allmählicher Demokratisierung und Modernisierung. Menschen über 30 waren allerdings immer schon sehr skeptisch, da sie die allumfassende Gewalt des Militärs und die Angst vor Zensur miterlebt hatten. Mich beeindruckte, wie junge Leute dieses Wissen einfach abschüttelten. Manchmal schien es mir, als ob viele von ihnen, auch wenn sie den Westen nie kennen gelernt haben, westlicher waren als zum Beispiel junge Leute in Südafrika. Zusammen mit einer zunehmenden Konsum-Kultur gab es da ein Freiheitsgefühl. Viele glaubten, dieser Weg müsste immer weiterführen und könne nicht in einer Sackgasse enden.

Es sind gerade die Bilder von diesen jungen Menschen, die für ihre Freiheit protestieren und einfach auf offener Straße erschossen werden, die mich zu Tränen rühren. Wie Unschuld und Fortschrittsglaube ins Desaster führen.

Ein Autor aus Myanmar – Di Lu Galay – ist Teil Deines Langzeitprojekts Diverse People Remember, an dem auch das Literaturhaus Bremen teilnimmt. Kannst Du bitte noch einmal kurz skizzieren, worum es da geht?

Diverse People Remember ist ein Projekt, in dem wir Familiengeschichten aus unterschiedlichen Ländern miteinander teilen und uns so virtuell verbinden. Die Idee ist, Erfahrungen von Trauma auszutauschen und somit überhaupt erst eine Grundlage zu schaffen, der Ohnmacht, dem Leid und der Bevormundung zu widerstehen. Das ist besonders wichtig in Augenblicken der sozialen und staatlichen Transformation, denn nur Menschen, die einander zuhören und sich kennen, können in Frieden zusammenleben. Dieses Projekt knüpft an die alte und doch so aktuelle afrikanische Tradition des Storytelling an und versucht, einen Beitrag zur Versöhnung zu leisten. In Myanmar hatten wir mit einigen Autor*innen an den Biographien gearbeitet. Kolonialismus und die lange Militärdiktatur haben die Menschen verstummen lassen und der Moment, in dem sie das erste Mal ihre Geschichte erzählen konnten, war ein wichtiger Moment von personal agency. 

Es ist wichtig, dass diese Stimmen gehört werden. Damit Myanmar nicht wieder hinter einer undurchlässigen Wand verschwindet, so wie noch in den 90er Jahren.

 

Projekte wie dieses werden dort wohl jetzt der Vergangenheit angehören. Aber wir versuchen, die Künstler*innen, mit denen wir seit Jahren eng zusammenarbeiten, zu unterstützen. Ein Beispiel wäre der Dichter Rakhine Di Lu Galay, dessen Lyrik wir in unseren Ländern erlebbar machen möchten.

Es ist wichtig, dass diese Stimmen gehört werden. Damit Myanmar nicht wieder hinter einer undurchlässigen Wand verschwindet, so wie noch in den 90er Jahren.

Di Lu Galay und Indra Wussow
Dichter Di Lu Galay und Indra Wussow in Yangon | © privat
Indra Wussow und Menschenrechtsanwalt Robert Sann Aung
Indra Wussow und Menschenrechtsanwalt Robert Sann Aung | © privat

All Deine Projekte bekommen nun durch den Militärputsch in Myanmar auf einmal eine ganz andere, schockierende Aktualität. Wir hören hier in den Nachrichten täglich von brutalen Übergriffen auf die Protestbewegung. Erfährst Du momentan überhaupt etwas über die Lage der Autor*innen?

Es ist ganz fürchterlich. Und ich habe große Angst um viele Künstler*innen und Autor*innen. Der wichtigste Menschrechtsanwalt, Robert Sann Aung, ist verschwunden – niemand weiß, wo er gefangen ist. Er hat schon über 20 Jahre seines Lebens in burmesischen Gefängnissen verbracht. Ein Mann, der sein Privatleben den Menschenrechten geopfert hat. 

Ein Dichter, den ich kenne, ist auf offener Straße erschossen worden, mehrere im berüchtigten Gefängnis von Insein inhaftiert. Nachts laufen Schergen des Regimes durch die Straßen und verhaften willkürlich Menschen. 

Oft bekomme ich Listen von Inhaftierten zu sehen und dann folgt der bange Moment – ist eine*r meiner Freund*innen dabei? Natürlich ist diese emotionale Reaktion verständlich, aber sehr kurzsichtig. Hinter jedem Namen steht eine Geschichte, die erzählt werden muss, die wir hören sollten – hören müssen. Das Regime möchte im Verborgenen seine Macht sichern. Wenn solche Geschichten ans Licht kommen, bedeutet das Prestigeverlust. Deshalb ist unser Projekt jetzt umso wichtiger. 

Hinter jedem Namen steht eine Geschichte, die erzählt werden muss, die wir hören sollten – hören müssen.

 

Intellektuelle spielen in Veränderungsprozessen immer eine besondere Rolle. Kannst Du Dir erklären, warum hierzulande kaum über die Lage der Künstler*innen und Autor*innen berichtet wird? Normalerweise gibt es ja sehr schnell Reaktionen von PEN international und anderen einschlägigen Organisationen.

Ich lebe in Südafrika, wir haben gerade mit dem Johannesburg Holocaust & Genocide Centre und dem südafrikanischen PEN eine Zoom-Buchpremiere von Di Lu Galays Lyrikanthologie auf Englisch organisiert. In Zeiten von COVID und der Schließung vieler Kulturinstitutionen sind die meisten Künstler*innen auch müde und nicht wenige kämpfen um ihre Existenz. Da ist Myanmar sehr weit weg.

Es ist wichtig, dass man Myanmar nicht nur wegen der politischen Lage, sondern auch wegen seiner vielschichtigen Literaturszene in den Blick nimmt. Und das geht am besten, wenn man Literatur von dort übersetzt und zugänglich macht.

 

Man darf auch nicht vergessen, dass es vor der demokratischen Öffnung schon einmal eine Abschottungskultur der damaligen Militärdiktatur gegeben hat. Es existierte also nur ein kleines Zeitfenster, in dem Myanmar Teil der Welt war. Oft zu romantisiert und eher als Urlaubsdestination. Es gibt nur eine Handvoll birmanischer Künstler*innen und Autor*innen, die auch im Ausland wahrgenommen werden. In Myanmar selbst war ich überrascht, wie viel ausländische Literatur und Philosophie ins Birmanische übersetzt wird. Das hört natürlich jetzt erst einmal wieder auf. Insofern ist es wichtig, dass man Myanmar nicht nur wegen der politischen Lage, sondern auch wegen seiner vielschichtigen Literaturszene in den Blick nimmt. Und das geht am besten, wenn man Literatur von dort übersetzt und zugänglich macht.

Viele Beobachter*innen sind pessimistisch und meinen, dass sich an der Situation in Myanmar absehbar nichts ändern wird. Hast Du eine Vorstellung, ob und wie die internationale Szene reagieren könnte?

Wichtig ist, dass wir in Kontakt bleiben und dafür sorgen, dass die Geschichten und Ereignisse dort nicht ignoriert werden. Es ist zwar gut, wenn viel über Myanmar berichtet wird, doch mir fehlt in den Nachrichten oft die Verbindung zu den Menschen dort. In vielen von Exotismus geprägten Dialogen ist auch reine Hilflosigkeit spürbar, weil man mit diesem Land so gar nichts anfangen kann.

In meinem Diverse People Remember Projekt werde ich versuchen, weiterhin Geschichten aus Myanmar zu sammeln und damit dem Leid und der Angst in diesem Land seine Stimmen zu geben. Auch damit die Menschen dort wissen, dass wir sie nicht vergessen und nicht im Stich lassen. Ich hoffe, dass wir bald einmal wieder reisen können und ich vielleicht sogar nach Yangon fahren kann.

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