Der Exil-P.E.N.
entstand nach dem Vorbild des Centre for Writers in Exile: Hier wie dort schlossen sich geflüchtete Autor*innen zusammen. Im Exil-P.E.N. waren es zunächst Autor*innen aus osteuropäischen Staaten, insbesondere aus Ungarn und der Tschechoslowakei, die in der Bundesrepublik Deutschland Asyl gesucht hatten. Später kamen unter anderem Geflüchtete aus Russland, dem Iran, Syrien, Togo und Kuba hinzu. Der Exil-P.E.N. setzt sich für die Freiheit des Wortes und die Menschenrechte ein.
In meiner nunmehr 15-jährigen Tätigkeit als Präsident des Zentrums der im Exil-P.E.N. vereinigten Schriftsteller*innen hat die im Februar 2020 ausbrechende Corona-Epidemie auch unsere Aktivitäten schmerzlich gebremst. An die Stelle von Lesungen im öffentlichen Raum, statt der Jahrestagung unserer Exil-Vereinigung im Herbst 2020, statt feierlicher Überreichungen von Preisen war die nüchterne Mail-Botschaft mit dem Inhalt der Laudatio, einschließlich der Fotografien der Preisträger*innen getreten. An die Stelle der persönlichen Begegnungen im öffentlichen Raum ist die Vielfalt der medialen Transportmittel getreten: facebook-Meldungen mit Emoji, die raschen Botschaften mit Twitter, Instagram mit grellen Bildern. Auch unsere Exil-P.E.N.-Mitglieder bedienen sich dieser Medien, um sich gegenseitig zu ermutigen, wenn das Telefongespräch nicht mehr ausreicht.
Dennoch: Es fehlt der unmittelbare Gedankenaustausch. Unsere Jahrestagung wird wohl auch im Frühjahr 2021 ausfallen. Und trotz alle dem: In unseren Reihen entfaltet sich das literarische Leben. Hochdotierte Autor*innen wie zum Beispiel Iris Wolff, die den Marieluise-Fleißer-Preis für ihr Gesamtwerk erhalten hat, 2020 für den Bayerischen Buchpreis nominiert war, fördern das Ansehen unserer Vereinigung. Oder der aus Rumänien stammende Verleger und Lyriker Traian Pop, der gerade den Andreas-Gryphius-Preis bekommen hat und nicht zuletzt mit seinem umfangreichen, engagierten Verlagsprogramm die europäischen und außereuropäischen Literaturen fördert. Überhaupt sind es aus Siebenbürgen und dem Banat stammende Autor*innen, die dem Exil-P.E.N. in den vergangenen zehn Jahren ein wachsendes Prestige verliehen haben.
Und wie aktiviert ein Präsident seine Autor*innen, wenn die gegenwärtige politische, epidemische und kulturelle internationale Lage wenig Anlass zu Hoffnungen gibt? Er bemüht sich um Rezensionen, wie in den Zeitschriften Matrix und Bawülon. Er ermuntert seine Präsidiumskolleg*innen bei der Installierung des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises; er übersetzt aus dem Polnischen und Russischen aus Romanen und Gedichtsammlungen für seine Kolleg*innen; tauscht sich mit ihnen über ihre Erfahrungen im Umgang mit Verlagen aus, die Bücher von nach Deutschland geflüchteten Schriftsteller*innen verlegen. Auf diese Weise sind im Rahmen des Exil-P.E.N. in der jüngsten Vergangenheit drei voluminöse Anthologien entstanden, in denen auch die bitteren Erfahrungen exilierter Autor*innen festgehalten wurden.
Der Präsident ermuntert vor allem jüngere Autor*innen aus Nachbarländern, ihre Erfahrungen mit ihren Kulturen in die deutsche Gastkultur zu übertragen. Er kümmert sich telefonisch um die älteren Mitglieder. Er schreibt Anträge und Gutachten für die Verleihung von Bundesverdienstkreuzen, beteiligt sich an Buchpublikationen, bittet Autor*innen um ihr öffentliches Engagement für Petitionen und Protestbekundungen angesichts des wuchernden Antisemitismus und des ausufernden Rechtsradikalismus in Deutschland.
Auch die Unterstützung von Buchprojekten durch redaktionelle Betreuung, Überarbeitung von Manuskripten, Hinweise auf Förderprogramme, Petitionen für inhaftierte Schriftsteller*innen in großen Tageszeitungen sind an der Tagesordnung. Schließlich und endlich gehört auch der Nachruf auf vor allem in diesen Monaten unerwartet verstorbene Mitglieder zu den Aufgaben.
Pandemische Zeiten erfordern außergewöhnliche Anstrengungen und erhöhtes Engagement für literarisch begabte Persönlichkeiten, die unsere Kultur in jeglicher Hinsicht bereichern. Doch genügt ein solcher Anspruch? Es ist zu hoffen, dass wir im Sommer 2021 eine erste Bilanz ziehen können, es sei denn …?
Wolfgang Schlott
ist langjähriges Mitglied des Literaturkontors und seit 2006 Präsident des Exil-P.E.N. deutschsprachiger Länder im Internationalen P.E.N. Er wurde 1941 in Thüringen geboren und studierte unter anderem Slawistik, Anglistik und Soziologie in Leipzig und Bremen. Zuletzt erschienen seine Erzählungen Kriminelles und Abwegiges (Pop-Verlag, 2020).
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