Christophe Fricker: James Dickeys Tiere

In den Texten vieler bekannter Autor*innen wimmelt es nur so von Tieren. Auch in den Gedichten des Amerikaners James Dickey ist tierisch was los. Christophe Fricker, der erstmals eine Auswahl davon ins Deutsche übersetzt hat, verrät im Interview mit Annika Depping mehr über Dickeys spektakuläre Texte, das Übersetzen und die Kraft der Natur.

Portrait Christophe Fricker
© privat

Wie kamen Sie selbst das erste Mal mit Dickeys Werk in Kontakt?

Der aus Bremen stammende KRACHKULTUR-Herausgeber und Weissbooks-Verleger Martin Brinkmann hat mir einige Gedichte gezeigt und mich gebeten, für seine Zeitschrift eine Auswahl zu machen. Ich war sofort Feuer und Flamme.

Im Nachwort erzählen Sie, mit welchen Schwierigkeiten Sie beim Übersetzen zu tun hatten und wie viel von Ihnen selbst in den Übersetzungen steckt. Wie war es für Sie, diese Gedichte zu übersetzen?

Übersetzen ist eine der großartigsten Erfahrungen, die man im Leben machen kann. Man schafft ja etwas Neues – jedes Wort einer Übersetzung ist neu, und das ursprüngliche Werk gewinnt dadurch hinzu, es erscheint in neuem Licht. James Dickeys Gedichte zu übersetzen war eine körperliche Erfahrung: Seine Rhythmen sind stark, oft sperrig, aber sie nehmen einen richtig mit. Ich bin wirklich froh über dieses Werk: Man spürt, was dichterische Sprache alles kann, wie machtvoll und behutsam und schöpferisch sie zu uns sprechen kann.

In James Dickeys Gedichten geht es immer wieder um Tiere. Welche Rolle spielen sie in seinem Werk?

Eine ziemlich große, scheint mir. Zwei Beispiele: In der großen Ode Für den letzten Vielfraß setzt Dickey sich mit dem Sterben einer Art auseinander. Es ist ein elegisches Gedicht, das uns heute, wo die Wälder brennen und die Meere vermüllen, wirklich betreten zurücklassen könnte. Aber Dickey bleibt da nicht stehen. Er stellt sich vor, wie jenes letzte Tier seiner Art einen Baum hochklettert und dort seine Verklärung erfährt. Und es paart sich mit einem Adler und lässt sich einfach nicht ausrotten. Das kann man mystisch und abgedreht finden, aber Dickey zeigt uns eben, dass wir nicht alles unter Kontrolle haben, dass uns die Natur noch im gefährlichsten, düstersten Moment überraschen kann. Dass da Kräfte schlummern.

Cover Wenn es dunkel ist

Übersetzen ist eine der großartigsten Erfahrungen, die man im Leben machen kann.“


Das zweite Beispiel ist das große Gedichte über den „Eulenkönig“. Ein blindes Kind rennt von zu Hause weg und wird von einer Eule aufgegabelt, die ihm den Wald zeigt. Vater, Eule und Kind sprechen jeweils einen der drei Teile des Gedichts, und auch hier verschwimmen unsere banalen wissenschaftlichen Kategorien in einer Feier der Gemeinschaft zwischen Mensch, Tier und Bäumen, die einander viel zu sagen haben. Wenn wir es mit der Natur ernst meinen, müssen wir uns darauf einstellen, dass uns ihre unausdenklichen Kräfte immer wieder verblüffen werden. James Dickey hat dafür ein offenes Ohr.

Dickeys Gedichte sind sehr vielfältig – wie haben Sie eine Auswahl für den Band getroffen?

Ich könnte es mir leicht machen und sagen: Die Gedichte sind alle gut, da kommt es gar nicht drauf an, welche man nimmt. Das stimmt auch, aber das ist nicht alles. Ich wollte einige der bekannten, sozusagen kanonischen Gedichte aufnehmen, zum Beispiel „Auf der Suche nach den Buckhead Boys“, Dickeys avantgardistische Hymne an seinen Heimatort. Und dann viele von den schockierend körperlichen Gedichten, wo es viel Blut und Haut und Krebs und Diabetes und sowas gibt. Die sind von einer Ehrlichkeit, die einen umhaut, und auf eine Weise unverzweifelt, die es in der wirklich modernen Lyrik ganz selten gibt. Ich will’s mal ganz provokant formulieren: Ich kann mir nicht vorstellen, wie man von Dickey enttäuscht sein könnte!

Christophe Fricker

übersetzte zuletzt Werke von Garielle Lutz und James Dickey ins Deutsche und von Matthias Politycki ins Englische. Er leitet den Masterstudiengang Übersetzung an der University of Bristol und freut sich über Nachrichten zum Thema Übersetzen.

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