Den Ozean muss man nicht berühren, wenn man ihn kritzeln kann mit einem Stift. Zur Sicherheit mit Einmalhandschuh. Der Stift war immerhin ausgeliehen.
Meeresrausch
Licht ist anscheinend Welle und Teilchen gleichzeitig. Jedenfalls steht es so in Büchern, deren Staub so grau, dass ich mir wünschte, einen Handschuh zu tragen. Sind mir aber alle zu klein geworden. Das tägliche Durchboxen macht die Hände breiter. Damit mehr liegenbleibt, wenn etwas abfällt. Bald kann ich um eine ganze Obstkonserve greifen. Ananas in Scheiben wohlgemerkt. Daraus wird keine Berufung. Wer will denn der Weltbeste werden, wenn danach kein Applaus kommt. Mein Kumpel ist Weltmeister im Wäscheständerwurf. Da weiß ich gleich, das ist eher ehrenamtlich. Man muss nicht jede Kompetenz von sich ins Internet stellen. Ich ziehe Fäustlinge an, bevor ich auf mein Video klicke. Nicht aus hygienischen Gründen. Bei mir selbst kann ich mich nicht mehr anstecken. Insofern ist man sich dann hoffentlich nicht fremd. Obwohl so eine Aufnahme von der eigenen Stimme immer wieder zeigt, wie schlecht man sich zuhört. Die täglichen Durchsagen vom Höllenspektakel tropfen wie Saunaschweiß an mir herab. In der Kälte werden sie zu Eis. Wenn mich mal jemand nach einer Straße fragt, erkläre ich grundsätzlich den schnellsten Weg zum Erdkern. Dort haben alle Ziele dieselbe Entfernung zur Kruste. Besser als einmal um die ganze Kugel reisen. Allein, auf einem Kreuzfahrtschiff. Und dann rätseln über das Kreuzwort mit M am Anfang. Fluide Unendlichkeit. Den Ozean muss man nicht berühren, wenn man ihn kritzeln kann mit einem Stift. Zur Sicherheit mit Einmalhandschuh. Der Stift war immerhin ausgeliehen. Selbstverständlich könnte ich über die Reling springen und Treibgut spielen. Nochmal winken, bevor das Wasser sich an mir verschluckt. Vielleicht ist der Kohlenstoff in meinen Atomen wie Kohlensäure in einem Glas Perrier. Dem Wasser scheine ich zu schmecken. Das beruhigt mich ein wenig. Endlich Zeit zum Nachdenken. Ein Meer ist flüssiges Licht. Gleichzeitig Welle und Tropfen.
Dalibor Marković
wurde 1975 in Frankfurt am Main geboren und begann seine Karriere mit Rap und Hip Hop. Später folgten Beatboxing und Spoken Word. Seit über 20 Jahren ist Marković als “Versdesigner” (Weser-Kurier) mit seiner Spoken-Word-Lyrik auf deutschen und internationalen Bühnen unterwegs, außerdem unterrichtet er Poesie in Schreibwerkstätten und hält Gastdozenturen an Universitäten. Seine Lyrik verbindet sich mit Beatboxing auf der Suche nach dem Zusammenhang zwischen Identität und Sprache. Bisher hat er vier Bücher und einen USB-Stick veröffentlicht. Zuletzt erschien 2021 sein Debütroman Pappel. Dalibor Marković lebt in Frankfurt am Main und in Mexico-City. Er ist zu Gast bei poetry on the road 2024.