Die Zeitschrift der Straße ist das Bremer Straßenmagazin. Es entsteht in Zusammenarbeit von Studierenden, Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen, Journalist*innen, freiwillig sozial Engagierten, von Wohnungslosigkeit und Armut bedrohten oder betroffen Menschen, Hochschuldozent*innen und Streetworker*innen. Gemeinsam mit Karolina Meyer-Schilf leitet Jan-Paul Koopmann die Redaktion der Zeitschrift. Im Interview hat er mit Marita Suhr über die Inhalte, die Arbeit und aktuelle Probleme gesprochen.
In den Texten der Zeitschrift der Straße wird viel Stadthistorie aufgegriffen. Aus welchen Gründen nehmt ihr so viel Recherchearbeit auf euch?
Weil wir uns mit jeder Ausgabe einer neuen Straße zuwenden, sind wir im Grunde immer auf Neuland unterwegs. Wir untersuchen jeden Monat ein Stück Bremen, von dem wir vielleicht eine ungefähre Vorstellung hatten, das wir aber tatsächlich auch selbst erstmal wirklich kennenlernen müssen. Und das geht nicht nur am Jetzt-Zustand. Gerade die älteren Anwohner*innen sprechen mit uns sehr viel darüber, „wie es hier früher aussah” – was vielleicht auch verloren ging, als der neue Supermarkt kam. Und es wäre viel zu schade, die Geschichten von Zeitzeug*innen nicht auch aufzuschreiben. Außerdem arbeiten wir eng mit dem Staatsarchiv zusammen, das uns zum Beispiel für jede Ausgabe historisches Bildmaterial zur Verfügung stellt. Manchmal steckt man schon beim allerersten Durchgucken alter Schwarz-Weiß-Fotos mittendrin in der Recherche.
Wer schreibt denn hauptsächlich die Texte für eure Zeitung? Sind das teils auch Menschen, die auf der Straße leben oder lebten?
Wir sind eine grundsätzlich offene Redaktion und das heißt: Bei uns schreibt, wer bei uns schreiben möchte. Wohnungslose sind das allerdings leider nur sehr selten. Damit sie trotzdem zu Wort kommen, drucken wir die Verkäufer*innenporträts am Ende der Ausgabe in der Regel als Protokoll – damit diese Menschen mit ihren Worten – ihrer Stimme, wenn man so will – im Heft repräsentiert werden und so ein bisschen Öffentlichkeit bekommen und gehört werden.
… und wer schreibt?
Viele arbeiten als Ehrenamtliche, die Wohnungslose unterstützen und sich als Autor*innen versuchen wollen. Dazu kommen Studierende, die im Rahmen unserer Uniseminare journalistische Praxis erlernen wollen. Von der Uni bis zur Rente ist alles breit vertreten.
Für eure Ausgaben kann man Straßenvorschläge machen. Reichen die aus, um monatlich auf neue Themen zu kommen? Und wenn nicht, wie kristallisiert sich eine Straße heraus?
Tatsächlich planen wir gar nicht von Monat zu Monat, sondern arbeiten mit einem jährlichen Straßenplan. Das ist schon zur Selbstkontrolle wichtig, damit wir nicht zu sehr in unserer „Homezone” kleben bleiben. Es hat aber auch mit dem Anzeigengeschäft zu tun: um eben gezielt vor Ort mit Unternehmen ins Gespräch gehen zu können. Für Straßenvorschläge aus dem Publikum sind wir immer dankbar und berücksichtigen sie gerne in der Jahresplanung. Auch wenn wir dann meistens erstmal erklären müssen, dass wir hier vielleicht von einer Ausgabe in eineinhalb Jahren sprechen … Ansonsten versuchen wir, einen möglichst bunten Mix durch die Stadtteile hinzubekommen und da auch möglichst unterschiedliche Ecken abzudecken.
In der 100. Ausgabe nun schreibt ihr über Probleme, die durch die Inflation für die Verkäufer*innen der Zeitschrift entstehen. Was sind da die größten?
So ganz allgemein kann man das gar nicht sagen, weil unsere Verkäufer*innen eine sehr diverse Gruppe sind und mit jeweils ganz unterschiedlichen Härten zu kämpfen haben. Aber zu den neuen Lebensmittelpreisen einkaufen müssen sie natürlich alle, während die meisten Entlastungsmaßnahmen völlig an ihnen vorbei gehen. Unsere Verkäufer*innen tanken zum Beispiel nicht, sie fahren nicht auf 9-Euro-Tickets durch die Gegend – und von einer gesenkten Einkommenssteuer haben sie auch nichts. Dazu kommt natürlich noch, dass auch unsere Kundschaft weniger Geld für Zeitschriften und Spenden übrig hat.
Wie eng ist die Zusammenarbeit mit den Verkäufer*innen der Zeitschrift eigentlich? Lernt ihr euch gegenseitig gut kennen?
Gerade die erwähnten Porträts sind immer ein gegenseitiges Kennenlernen – und das wirkt auch nach. Bremen ist ja nicht groß, man läuft sich ständig wieder über den Weg und erkundigt sich, wie’s mit diesem Plan oder jenem Wunsch aus dem Artikel weiterging. Als die Redaktionskonferenzen vor Corona noch grundsätzlich im Vertriebsbüro stattfanden, war das Miteinander sicher noch etwas enger. Das gegenseitige Interesse ist aber nach wie vor groß und wir versuchen, diese Kontakte auch zu pflegen, obwohl große Teile der redaktionellen Arbeit noch immer in Videokonferenzen erledigt wird.
Welche Rolle spielen literarische Texte in der Zeitschrift der Straße?
Zur Zeit haben wir kein reines Literaturformat in der Zeitschrift, was auch am thematisch engen Straßenbezug der Hefte liegt. Wir drucken aber immer mal wieder Texte, die mit Sprache spielen und subjektive Eindrücke auch kunstvoll verarbeiten. Wir sind sehr offen für solche Ansätze und ermutigen unsere Autor*innen auch, entsprechend hinzuschauen und zu schreiben. Schwieriger sind allerdings fiktionale Texte, weil wir im Kern doch ein journalistisches Projekt sind und das auch bleiben wollen. Aber auch damit ist das letzte Wort nicht gesagt. Wenn jemand mit Erzählungen, Lyrik oder einem Einakter in die Konferenz käme – dann würden wir zumindest versuchen, einen Platz dafür zu finden. Oder vielleicht ja auch zu erfinden.
Hier gibt's mehr Infos zur Zeitschrift, den bisherigen Ausgaben und dem aktuellen Heft.