Die Bremerin Bettina Bexte ist Cartoonistin und Illustratorin für unter anderem den Weser-Kurier, die Süddeutsche Zeitung und die taz. 2021 und 2022 zeichnete sie die Biografie zweier Senior*innen Anne und Miša sowie die einer Migrantin aus Simbabwe Nomazulu. Für diese Graphic Biographies wurden vom Bremer Senator für Kultur gefördert. Im Interview mit Annika Depping und Malte Hahs verrät sie, was sie an Menschen begeistert, was einen gelungenen Cartoon ausmacht und welche Rolle Graphic Novels in der Welt der Literatur spielen.
Frau Bexte, Sie haben mit Anne und Miša und Nomazulu Graphic Biographies zweier Senior*innen und einer Migrantin aus Simbabwe gezeichnet. Wann werden die Geschichten von Menschen für Sie so interessant, dass Sie sie zeichnen möchten?
Ich finde es spannend, Lebensgeschichten von Menschen zu hören, die Brüche und Neuanfänge erlebt haben, die es mit Widrigkeiten und schwierigen Situationen zu tun hatten und deren Lebensweg nicht geradlinig verlaufen ist. Außerdem beeindruckt es mich, wenn Menschen es geschafft haben, sich eine Art kindliche Neugier und Unvoreingenommenheit gegenüber der Welt und anderen Menschen zu erhalten.
Worin lagen die größten Schwierigkeiten dabei, die Lebensgeschichten der Menschen als Graphic Novel aufzubereiten?
Zunächst habe ich die Personen interviewt. Dann habe ich versucht, die wichtigen Punkte und das Essentielle herauszufiltern, das diesen Menschen ausmacht, um es in einem ersten Storyboard zu skizzieren. Oftmals haben sich mir bereits bei den Interviews Bilder im Kopf zusammengesetzt, die ich dann in eine Reihenfolge gebracht habe.
Die ersten Skizzen habe ich dann der Person gezeigt und geschaut, ob sie sich darin wiederfindet. Am schwierigsten war eigentlich die lange Recherchearbeit nach den Orten der Kindheit. Gerade bei der Migrantin aus Simbabwe musste ich erstmal lernen, wie ein Leben in den 1950er Jahren in Rhodesien (damals war es noch britische Kolonie) ausgeschaut hat.
Wie kamen die Graphic Novels bei Miša, Anne und Nomazulu an?
Ich war bei jeder Person erstaunt, dass sie sich in der gezeichneten Geschichte wiedergefunden hat. Besonders bei Nomazulu, deren Leben für mich am schwersten zu rekonstruieren war. Schließlich hatte ich ja lediglich die Bilder aufgezeichnet, die sich mir beim Erzählen im Kopf gebildet hatten.
Ich hatte allerdings unterschätzt, wie aufwühlend es ist, wenn man jemandem, den man nicht kennt, seine Lebensgeschichte so relativ kompakt anvertraut. Normalerweise erzählt man ja meistens nur Teile aus seinem Leben. Bei Miša hat es dazu geführt, dass er kurz nach Fertigstellung der Geschichte noch einmal in seine Heimat an die Orte seiner Kindheit gereist ist.
Meistens zeichnen Sie Cartoons, also ein viel kleineres Format. Was hat Sie an den Graphic Biographies interessiert?
In einem Cartoon wird die Geschichte ja idealerweise in einem einzigen Bild erzählt. Durch Überspitzung oder das Zusammenbringen verschiedener Ebenen, die normalerweise nichts miteinander zu tun haben, entsteht eine komische Situation. Auch kann man bei der Darstellung der Personen übertreiben, ihnen Knollnasen malen oder einen übertriebenen Gesichtsausdruck geben, durch den die Szene dann noch lustiger wird.
Beim Zeichnen einer Graphic Biography muss man sich in der Darstellung an die Wahrheit halten und die Personen realistisch zeichnen, damit sie zu erkennen sind. Es kommt also auf ganz andere Dinge an. Humor oder Ironie sind an vielen Stellen nicht angebracht. Statt dessen geht es darum, in den Bildern bestimmte Gefühle oder Stimmungen einer Situation darzustellen. Es hat mich sehr gereizt, das auszuprobieren. Und ich habe immer schon sehr gerne zugehört, wenn Menschen Geschichten aus ihrem Leben erzählt haben.
Woher kommt Ihre Begeisterung für Cartoons?
Das Reizvolle an einem Cartoon ist für mich, dass man mit wenigen Mitteln eine Situation auf den Punkt bringen muss. Das Cartoonpersonal, die Szenerie und die Bildperspektive bestimmt man dabei selbst. Beim Zusammenspiel von Text und Bild muss man drauf achten, dass der Text nicht etwas aussagt, was das Bild schon erzählt. Manchmal brüte ich ewig über einer Formulierung, um den Text zu verknappen und ihn passend für die Figur zu machen, die ihn sagt.
Ein guter Cartoon bringt die BetrachterInnen im Idealfall dazu, über eine Situation nachzudenken. Dass einem das Lachen dabei manchmal im Halse stecken bleibt, ist erwünscht.
Wie gut können sich Cartoons, Comics und Graphic Novels in der Welt der Literatur behaupten? Nehmen Sie da eine Veränderung wahr?
Auf dem Cartoonmarkt sehe ich eigentlich kaum Veränderung. Es gibt die üblichen Cartoonsampler zu bestimmten Themen oder die bunte Mischung der CartoonistInnenszene. Der Markt ist wohl auch nicht einfach zu bedienen, da Cartoonbücher eher zum Verschenken gekauft werden. Leider sehe ich die Frauen in der Branche nach wie vor stark unterrepräsentiert.
Ganz anders bei den Comics und Graphic Novels. Meine Wahrnehmung ist, dass sie in den letzten Jahren in Deutschland enorm an Bedeutung gewonnen haben. Das sieht man auch an der Nominierung von Birgit Weyhes Buch Rude Girl, mit dem es zum ersten Mal ein Comic auf die Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse geschafft hat. Auch die hervorragenden Comics von Barbara Yelin, die sich viel mit der Geschichte jüdischer Holocaust-Überlebender auseinandergesetzt hat, sind ein weiteres Beispiel dafür, wie man Zeitgeschichte durch Bilder vermitteln kann. Wir haben in Deutschland viele gute Comicbuch-Verlage und eine blühende, immer größer werdende AutorInnenszene. Gerade die Frauen sind in diesem Bereich sehr gut vertreten. Das freut mich besonders!
Was sind Ihre nächsten Projekte? Wird es auch weitere gezeichnete Biografien geben?
Ich werde auf jeden Fall auf diesem Sektor weitermachen. Gerade bin ich im Gespräch mit einer Frau aus Hamburg, die mir, wenn ich Glück habe, ihre Lebensgeschichte anvertraut.
Dass ich überhaupt mit dem Zeichnen der Graphic Biographies angefangen habe, wurde mir durch zwei Künstlerstipendien der Stadt Bremen ermöglicht, die ich während der Coronazeit erhalten habe. Für diese Wertschätzung meiner Arbeit bin ich sehr dankbar. Sie hat mir ermöglicht diese aufwändige Arbeit zu realisieren..
Bettina Bexte
hat an der Hochschule für Künste in Bremen Illustration und Trickfilm studiert. Sie arbeitet als selbständige Cartoonistin und Illustratorin. Ihre Cartoons erschienen unter anderem im Weser-Kurier, Süddeutsche Zeitung, taz, Eulenspiegel, Stern, bei Spiegel-online, bei Lappan und Carlsen und in der Kinderzeitschrift Gecko. Im Eigenverlag veröffentlichte sie u.a. das Buchprojekt „Fluch der Akribik“ Beim Deutschen Karikaturenpreis 2016 wurde sie mit dem geflügelten Bleistift in bronze und 2019 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. 2021 gewann sie den Salzburger Karikaturenpreis. 2021 und 2022 erhielt sie zwei Künstlerstipendien des Senators für Kultur, Bremen für die Graphic Biographys „Anne und Miša“ und „Nomazulu“.
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