Die Berlinerin Elâ Wolf ist Künstlerin. Und Halbtürkin. Letzteres spielt für sie und ihre Malerei aber eigentlich keine Rolle. Doch mit dem Verfassungsreferendum 2017, durch welches das Präsidialsystem unter Recep Tayyip Erdoğan beschlossen wird, rückt die Herkunft ihrer Eltern plötzlich in den Fokus. Gerade andere Künstler*innen erwarten eine klare politische Haltung von ihr. Und natürlich erschüttern Elâ die Entwicklungen in dem Land, in dem ihr Vater mittlerweile wieder lebt. Sie spürt, wie sehr die Umbrüche ihre Mutter mitnehmen. Aber haben ihre Arbeiten deswegen automatisch eine politische Dimension? Ist sie als Kulturschaffende zu einer Positionierung verpflichtet?
Eine Graphic Novel „Über Kultur, Politik, Identität, Kunst und den ganzen Rest“, heißt es in der Verlagsbeschreibung. Das führt einmal mehr die Komplexität des Chaos um kulturelle Identität und politische Teilhabe vor Augen, in dem sich Protagonistin Elâ wiederfindet.
Besonders schön visualisiert Autorin und Künstlerin Büke Schwarz immer wieder das Gefühl der Ohnmacht, des Erschlagenseins vom Gewicht vermeintlich politischer Aussagen. Immer größer wird die Desorientiertheit zwischen räumlicher und ideeller Distanz zu den Eltern, ihrem Herkunftsland und ihrer Migrationserfahrung.
Mit ihrem Graphic-Novel-Debüt „Jein“ gelingt es Schwarz, diese komplexen Fragestellungen leicht zugänglich zu machen und immer wieder auch humorvoll zu erzählen. Gerade die Ambivalenz, Dynamik und Offenheit der Erzählung machen es zu einem kraftvollen, hochrelevanten Werk.
Henrieke Homburg
wurde 1996 in Westfalen geboren und kam 2019 nach Bremen, um nach ihrem Kunst- und Philosophiestudium den Master Transnationale Literatur, Theater und Film zu absolvieren. Ihr Fokus liegt dabei thematisch vor allem auf medien- und genreübergreifenden Inhalten und Arbeitsweisen sowie dem Verhältnis von Dokumentation und Fiktion. Seit 2020 ist sie als Autorin Teil des Projekts blogsatz.
blogsatz entsteht in Kooperation zwischen dem virtuellen Literaturhaus Bremen und dem Master Transnationale Literaturwissenschaft – Literatur, Theater, Film der Universität Bremen. Auf diesem Bücherblog stellen die Student*innen ihre persönliche, höchst subjektive Crème de la Crème des Literaturgeschehens vor.