Zum Creative Cities Nezwerk der UNESCO zählen nicht nur Literaturstädte, es gibt auch 59 UNESCO Cities of Music. Eine davon ist Hannover. Mit der Koordinatorin der Musikstadt Hannover hat Annika Depping über internationale Projekte, große Erwartungen und Gender Equality in der Musikbranche gesprochen.
Was macht Hannover zu einer City of Music und seit wann trägt sie den Titel?
Hannover wurde im Dezember 2014 als UNESCO City of Music (UCOM) im UNESCO Creative Cities Netzwerk (UCCN) ausgezeichnet. Neben einer hohen musikalischen Vielfalt, Exzellenz in der musikalischen Bildung am Standort wie zum Beispiel durch die Hochschule für Musik, Theater und Medien und einer vitalen Club-Szene, zeichnet Hannover insbesondere seine musikwirtschaftliche Kraft aus mit Firmen, die hier in der Region ansässig sind, etwa in den Bereichen Sound, Instrumentenbau, Studios aber auch in den Bereichen Konzertveranstaltungen und Künstler*innenmanagement. Und natürlich hat Hannover im Bereich Tonträgertechnik eine bedeutsame Historie, unter anderem durch Emil Berliner, der als Erfinder der Schallplatte gilt und in Hannover geboren wurde. Das UNESCO Creative Cities Büro in Paris war besonders beeindruckt von der musikalischen Vielfalt, dem Zusammenspiel von Musik und Wirtschaft und der herausragenden Musikausbildung in Hannover.
Mehr über die City of Music Hannover gibt es hier
Mit welchen Projekten hat sich Ihre Stadt auf den Titel City of Music beworben?
Die Bewerbung Hannovers erfolgte mit einem Schwerpunkt auf eine weltoffene und an internationalem Austausch interessierte Musik-Stadt. Ein konkretes Projekt war der digitale Auftritt aller Musikstädte zur Darstellung der Kooperationsprojekte. Eine entsprechende Website wurde mit www.citiesofmusic.net realisiert. Ein weiterer Schwerpunkt der Bewerbung lag in der Stärkung internationaler Zusammenarbeit. Dazu zählte die Zusicherung, Delegationen aus dem internationalen UCOM Netzwerk in Hannover zu empfangen sowie Treffen und Kongresse für das UCOM Cluster zu organisieren. Zudem die Initiierung von Kooperationsprojekten mit anderen UCOMs, insbesondere mit Städten des globalen Südens inklusive Hannovers Partnerstadt Blantyre in Malawi.
Wie kam es zur Idee, dass sich Hannover auf den Titel beworben hat und wie sah der Bewerbungsprozess aus?
Die Initiative zur Bewerbung kam aus der Musikszene Hannovers selbst, allen voran dem kreHtiv Netzwerk Hannover e.V. Die Bewerbung wurde gemeinsam mit der Stadtverwaltung verfasst und Botschafter*innen aus der vielfältigen Musik-Szene der Stadt angeregt, die Bewerbung zu unterstützen und bekannt zu machen. Der Bewerbungsprozess wurde durch eine Steuerungsgruppe aus dem Bereich Musikwirtschaft und Marketing in Zusammenarbeit mit dem Kulturdezernat der Landeshauptstadt Hannover unterstützt.
Wie hat die entsprechende Szene auf die Bewerbungspläne reagiert?
Mit großem Stolz und Freude gepaart mit hohen Erwartungen an die Möglichkeiten, die sich aus der Auszeichnung ergeben könnten. Dass es für den Titel beziehungsweise die Vermarktung des Titels seitens des UCCN Sekretariats kein Geld gibt, ist nicht allen Akteur*innen bewusst.
Welche Bedeutung hat es für Ihre Stadt, Teil der UNESCO-Creative Cities zu sein? Was sind die Vorteile, was die Verpflichtungen?
Mit der Mitgliedschaft im UNESCO Creative Cities Network hat sich Hannover verpflichtet, dessen zentrale Ziele zu teilen, die unter anderem in den 17 Nachhaltigkeitszielen SDGs (Sustainable Development Goals) der Agenda 2030 der Vereinten Nationen definiert sind, und diese in aktiver Mitarbeit im Bereich Kultur und Kulturentwicklung sowie in internationalen Kooperationen zu realisieren. Das Leitziel der Agenda 2030 ist, weltweit ein menschenwürdiges Leben in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht zu schaffen. Zu den Nachhaltigkeitszielen gehören Bildung für alle ermöglichen, Schutz des Klimas und der Biodiversität und der Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit, um ein paar Beispiele zu nennen.
Als Stadt im UNESCO Creative Cities Netzwerk sind außerdem der Wissenstransfer durch Partnerschaften mit Kulturakteur*innen der eigenen Stadt und anderen Städten des Creative Cities Netzwerkes, Zusammenarbeit durch internationale Kooperationen sowie Erfahrungsaustausch und verbesserte Teilhabe aller am kulturellen Leben im Sinne der SDGs wichtige Leitlinien, an denen wir uns orientieren. Vor allem gehört die konsequente und nachhaltige Weiterentwicklung des eigenen Standorts in kultureller, kreativwirtschaftlicher und sozioökonomischer Hinsicht dazu.
Hannover hat durch den Titel UNESCO City of Music internationale Anerkennung erfahren. Die Zusammenarbeit im weltweiten UNESCO Creative Cities Netzwerk hat großes Potential für die Musikszene in Hannover.
Die Aufnahme in das Netzwerk und der Titel UNESCO City of Music bieten daher für Hannover besondere Chancen einer standortbezogenen, musik- und kreativwirtschaftlichen Positionierung und Entwicklung, die auch eine große Nähe zu den Leitbildvorgaben zum Wirtschaftsstandort und als Kulturmetropole aufweist.
Seit einem Jahr existiert zum Beispiel ein Zusammenschluss von Live-Konzert Veranstalter*innen, Verteter*innen des Klubnetzwerks sowie von im Bereich Umweltschutz und Nachhaltigkeit aktiven Hannoveraner*innen, der sich regelmäßig trifft und darüber austauscht, wie diese Themen innerhalb der Stadt, vor allem bei den Livespielstätten Hannovers, noch besser etabliert werden kann.
Was waren bei Ihnen die ersten Schritte, nachdem Sie den Titel erhalten hatten?
Es wurde eine Koordinierungs-Stelle für alle Belange – vor allem im internationalen UCCN-Kontext – im Kulturbüro der LHH eingerichtet. Darüber hinaus wurde seitens der Stadtverwaltung beziehungsweise des Kulturausschusses ein Budget für die internationale UCOM-Arbeit festgelegt. Ein Beirat aus Musikschaffenden (Musikwirtschaft, Musikkultur, Institutionen, Firmen, Verwaltung usw.) wurde eingerichtet. Außerdem wurden ein breites „Partner*innen-Netzwerk“ UCOM Hannover und ein monatlicher Newsletter etabliert, der alle Partner*innen über Projekte innerhalb der Stadt aber auch Projekte und Calls des internationalen UNESCO Cities of Music Netzwerks informiert.
Welche internationalen Verbindungen und Freundschaften sind für Hannover aus dem Eintritt ins Creative Cities Netzwerk hervorgegangen? Welche Projekte konnten dadurch bei Ihnen angeschoben werden?
Viele Freundschaften und langfristige Verbindungen haben sich ergeben. Vor allem mit Städten wie Liverpool, Norrköping, Kansas City, Brno, Frutillar, Daegu, Adelaide und Auckland sind wir eng verbunden, aber auch mit den neu hinzugekommenen Städten wie Belfast, Tallinn und London/ONT.
Mit Liverpool konnte 2018 ein großes Orchesterprojekt zum 100-jährigen Gedenken an das Ende des Ersten Weltkrieges umgesetzt werden. Die NDR Radiophilharmonie Hannover und das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra haben unter der Leitung von Andrew Manze und mit Chören aus beiden Städten Brittens War Requiem im Kuppelsaal in Hannover sowie in der Liverpool Cathedral aufgeführt.
Viele Musikschaffende aus Hannover haben eigenständige Projekte mit Musiker*innen aus vielen UCOMs initiiert. So im Bereich Jazz mit Kansas City oder im Bereich Reggae mit Kingston, Jamaica. Während der Corona-Pandemie konnte ein gemeinsames Projekt zwischen einem Schulchor aus Hannover mit Jugendlichen aus Frutillar online realisiert und auf Video festgehalten werden. Bei lokalen Festivals in Hannover wie zum Beispiel dem SNNTG Festival, der Internationalen Jazz-Woche oder dem MASALA Weltmarkt sind jedes Jahr Musiker*innen aus dem UCOM Netzwerk in Hannover zu erleben, bringen ihre Musik nach Hannover und gehen in den Austausch mit lokalen Musiker*innen.
Innerhalb des Musik Clusters wurden verschiedene thematische Arbeitsgruppen gebildet. Hannover ist aktiv in der Arbeitsgruppe „Equalizer“ bezugnehmend auf SDG 5 Gender Equality, weil nach wie vor die SDGs der Agenda 2030 die Grundlage der Arbeit innerhalb des UCCNs bilden. Das Ziel dieser AG ist, ein globales Zeichen zu setzen für das Thema Gleichstellung der Geschlechter in der Musikbranche und die Situation für alle FLINTA* Personen zum Besseren zu verändern.
In Hannover wurde unter anderem das women* in music Hannover (w*im) Netzwerk gegründet. w*im ist eine Initiative, die von der Koordinierungsstelle UNESCO City of Music Hannover und dem MusikZentrum Hannover ins Leben gerufen wurde, um Akteurinnen* der Musiklandschaft Sichtbarkeit, Teilhabe und Präsenz zu bieten. Über Formate wie monatliche MeetUp‘s, Konferenzen und Konzerte werden
Musikfrauen* allen Alters genre- und branchenübergreifend vernetzt und in ihrer kreativen Zusammenarbeit unterstützt. women* in music hannover richtet sich an alle weiblich gelesenen und nicht-binären Personen und setzt sich für Gender Equality in der Musikbranche ein.
Welche Tipps und Anregungen können Sie Bremen für die Bewerbung auf den Titel City of Literature mit auf den Weg geben?
Bleiben Sie im Dialog mit den lokalen Kulturschaffenden auf allen Ebenen und beziehen Sie diese in die wichtigen Entscheidungen und Zielsetzungen mit ein. Unterstützen Sie Ihre Kulturschaffenden in den lokalen aber auch den internationalen UCCN-Kooperationen. Etablieren Sie gute und nachvollziehbare Fördermaßnahmen und kommunizieren Sie diese transparent. Eine positive Grundstimmung in Ihrer Literaturszene bildet die Basis für ein dauerhaftes Gelingen.
Kennen Sie Bremen? Welche (kulturellen) Qualitäten hat Bremen? Und ist Bremen schon eine City of Literature?
Bremen ist eine wunderschöne Stadt mit einem tollen großen Marktplatz. Natürlich fallen uns die Bremer Stadtmusikanten ein, das Schnoor Viertel und die Weser. Aber natürlich auch viel Musik in der Stadt, von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen bis hin zur Glocke aber auch großen Rockkonzerten ist Bremen für uns ein wichtiger und kreativer Kulturstandort in der Nähe von Hannover. Durch die vielen bereits bestehenden Literaturprojekte wie zum Beispiel die LauschOrte und das geplante Literaturhaus ist Bremen aus unserer Sicht schon jetzt eine herausragende Literaturstadt und wir drücken die Daumen, dass es auch mit dem UNESCO City of Literature-Titel in dieser Runde klappen wird und wir im Norden mit zwei UNESCO Creative Cities aufwarten können.
Alice Moser
arbeitet seit November 2015 als Koordinatorin und Focal Point Person für die UNESCO City of Music Hannover im Kulturbüro der Landeshauptstadt Hannover. Sie ist zuständig für die internationale Zusammenarbeit der Musikschaffenden aus Hannover mit den weltweiten Musikstädten im UNESCO Creative Cities Netzwerk. Alice Moser ist Mitinitiatorin des Netzwerks women* in music hannover.
Vor ihrer Tätigkeit als Koordinatorin arbeitete sie viele Jahre als Managerin für Musiker*innen bei einer Künstler*innenagentur und hat Englische und Deutsche Kultur- und Literaturwissenschaft und Geschichte studiert. Nach diversen Praktika u.a. im Auswärtigen Amt in Seoul, am Shakespeare’s Globe Theatre in London sowie an der Niedersächsischen Staatsoper Hannover, schrieb sie ihre Magisterarbeit über das Thema „Shakespeare’s Globe Theatre in London – How authentic can it be“.