In der dritten Ausgabe des Literaturmagazins Koller wird’s bunt, denn der Koller widmet sich einem polarisierenden Thema: dem Kitsch. 17 Autor*innen und 17 Illustrator*innen haben sich des Phänomens in allen Facetten angenommen. Einige Texte sind in Schreibwerkstätten des Kollit entstanden, andere haben die festen Teammitglieder beigesteuert. Im Literaturmagazin Bremen zeigen wir diesen Monat eine Kurzgeschichte und eine der zugehörigen Illustrationen aus dem Koller Nr. 3. Den Rest findest du im gedruckten Heft. Das ist ab sofort online auf der Website des Kollit bestellbar oder in ausgewählten Buchhandlungen zu haben.
Das Kollit ist das Junge Kollektiv für Literatur in Bremen. Der Zusammenschluss von jungen Autor*innen aus Bremen und Umgebung hat das Ziel, neue Räume für den literarischen Nachwuchs zu schaffen.
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Ich kam gut mit dir klar. Du schüttetest mich mit allem voll, was dir spontan in den Kopf kam, und fordertest gleichzeitig kaum was von mir zurück. Als würde ich mit einer Figur aus einer Fernsehserie Zeit verbringen, ohne dass ich dabei selbst eine Rolle spielte.
Meistens kam ich gut damit klar. Wenn ich gestresst oder müde war, konnte mir deine positive Ausstrahlung aber auch mal schnell zu viel des Guten werden. Genervt und leicht reizbar war das Funkeln in deinen viel zu perfekten Augen einfach unerträglich. Dann konnte mich dein enthusiastisches Reden über irrelevante Details wirklich aufbrausend aggressiv machen. Ging das lange so, staute sich eine Wut in mir auf, die von innen gegen meine Haut pikste. Am Ende des Tages lag ich im Bett und strampelte explosiv mit all meinen Beinen und Armen herum, bis ich zu erschöpft war, um damit weiterzumachen. Außerhalb meines eigenen Bettes zwang ich mich immer dazu, meine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Egal wie stark das Knistern unter der Haut wurde, ich musste es verstecken und aushalten, bis sich alles im Bett wieder entladen konnte.
Ich stand damals vor der doppelt verriegelten Tür zu deiner Wohnung. Wunderte mich anfangs noch darüber, doch schon bei meinem zweiten Besuch fiel es mir nicht mehr als etwas Eigenartiges auf. Obwohl es das war. Die schwere schwarze Tür zu deiner Wohnung war genauso eigenartig wie alles, was sich dahinter befand.
Als du mich das erste Mal zu dir nach Hause einludst, irritierten mich die lückenlos dekorierten Wände und die vollgestopften Regale. Ich entdeckte überall irgendwelche, für mich nicht ganz verständliche Objekte. Besonders die unzähligen verzierten und leuchtenden Blumentöpfe mit billigen Plastikblumen stachen mir ins Auge. Zu meiner Erleichterung schien dich meine Irritation nicht zu verunsichern. Oder du nahmst sie gar nicht erst wahr. Wahrscheinlich letzteres.
Jedenfalls stand ich das erste Mal in dem engen Flur und wartete darauf, dass du mir sagen würdest, wo ich meine Sachen ablegen sollte. Du führtest mich dann einmal durch jedes Zimmer hindurch. Mir fiel vor Aufregung nichts ein, was ich hätte sagen können, aber das war bei dir kein Problem, weil du sowieso ohne Pause redetest und mehrmals betontest, wie gerne du Leuten deine Wohnung zum allerersten Mal zeigen würdest. Dabei strecktest du deine Arme aus und drehtest dich langsam durch den Raum. Ich kam mir etwas seltsam vor, wie ich dir hinterhertrottete und diese Überschwänglichkeit in meinen Gang nicht ansatzweise übernehmen konnte.
Mir fiel auf, dass du von Allem mehr als genug hattest. Dicke Staubschichten sammelten sich auf den Blättern und Blüten der Plastikblumen, die in den mit Glitzersteinen verzierten Töpfen steckten, genauso wie auf den Rücken der Elefantenfiguren, von denen du eine ganze Herde aufgebaut hattest. In jedem Zimmer hingen gleich mehrere Uhren an den Wänden, manche direkt nebeneinander. Davon funktionierte allerdings nur noch eine einzige. Das war ausgerechnet die mit einem lauten, unregelmäßigen Ticken, das mich schon nach wenigen Minuten nervös machte. Auch Bilderrahmen, stehende und hängende, hattest du zuhauf. Am wenigsten leuchtete mir ein, wieso die meisten von ihnen nicht mal ein Foto rahmten. Als könnte ich nicht sehen, was sie Hübsches zeigten, starrten sie mich provokativ an, während ich eingeschüchtert an ihnen vorbeischlich.
In der Küche fragtest du mich, ob ich einen Tee trinken wolle. Die Tasse, die du aus dem offenen Wandschrank herausgenommen hattest, schwebte knapp zehn Zentimeter vor meinem Gesicht. Du wolltest meine Bestätigung dafür, dass das die niedlichste Tasse der Welt sei, denn du hattest sie selbst bemalt. Ohne zu zögern, log ich und stimmte dir zu.
Ja, wirklich die niedlichste Tasse, die ich je gesehen habe.
Nein, eigentlich nicht, aber ich wollte keine unnötige Diskussion anfangen.
Diese Tasse mit einem Regenbogen über den Wolken und lauter kleinen bunten Sternen ist nur ein Beispiel für viele Dinge, die du in deiner Wohnung gehortet hattest, bei denen ich mich fragte, wie eine erwachsene Person auf solchen Kinderkram stehen konnte. Dieses Kindliche und Verträumte an dir war mir fremd. Aber nicht, dass ich irgendwie auf dich herabgeblickt hätte. Zugegeben beneidete ich dich dafür, dass du so viel daraus ziehen konntest.
Während das Wasser im Wasserkocher heiß wurde, nutzte ich die Gelegenheit für einen unauffälligen Gang zur Toilette. Beim Händewaschen bemerkte ich die verklebten Haare im Waschbecken. Auch das weiße Seifenstück hatten sie schon umwickelt. Ich verzichtete und nahm nur Wasser, auch wenn ich das etwas eklig fand. Im Regal neben dem Waschbecken waren mindestens fünfzehn Parfumflaschen auf einem schäbigen Tablett lieblos aneinandergereiht. Der Silberlack blätterte hässlich ab.
Zurück in der Küche, du hattest gerade das kochende Wasser mit einem Zischen in die Tassen gegossen, nahm ich einen neuen Geruch wahr. Hier roch es nach einer Mischung aus Schimmel und Essensresten. Es war nicht gleich erkenn- oder riechbar, aber doch so konstant, dass ich froh war, als der Tee vor mir stand und ich den Lavendeldampf in meine Nase ziehen konnte. Die Tassen im Wandschrank stapelten sich. Es hätte mich nicht überrascht, wenn die wackligen Türme in der nächsten Sekunde ihre Balance verloren hätten und das ganze Konstrukt zusammengebrochen wäre. Ich klammerte mich ein bisschen zu sehr an die Tasse Tee. Durch den Lavendel konnte ich den unterschwellig ekelerregenden Geruch besser aushalten.
Erstaunt darüber, dass ich trotz alldem nicht das Bedürfnis hatte, vom Stuhl aufzuspringen und zu flüchten, fragte ich mich, was mit mir passiert war. Hatte ich mich verändert oder war ich endlich ein bisschen lockerer geworden? Das unechte, ununterbrochene Lächeln auf deinen Lippen war okay für mich. Genauso der schimmernde Lidschatten über deinen himmelblauen Augen. Es blieb nur noch eine einzige Sache, an die ich mich einfach nicht gewöhnen konnte. Das waren die Haare, die aus deinen komisch geformten Ohren herauswuchsen. Wenn ich sie aus Versehen mit meinem Blick streifte, spürte ich direkt dieses Ziepen in meinem Bauch und musste mich anstrengen, nicht mein Gesicht zu verziehen.
Um mich schnellstens von dem Schmerz abzulenken, fragte ich dich immer etwas, dessen Antwort mich eigentlich gar nicht interessierte, bei der ich mich dann aber umso mehr aufs Zuhören konzentrieren musste. Das war effektiv genug, um das Ziepen zu ignorieren. Dann konnte ich meine Hand auch wieder von meinem Bauch nehmen, die ich reflexartig darauf gepresst hatte. Mit diesem praktischen Trick konnte ich selbst mit dieser einen Sache, die mich wirklich an dir störte, auf lange Sicht gut umgehen. Vermutlich ist das aber auch nicht vermeidbar und man braucht solche Tricks, wenn man bei jemandem zu Gast ist.
Aber sicher bin ich mir da nicht. Ich war noch ein sehr unerfahrener Gast, denn du warst die erste Person, die mich hereingelassen hatte.
Juno Meyer
wurde 2005 geboren und großer Fan von Bremen, der Stadt, in der sie groß geworden ist. Seit 2023 ist sie in der Litko-Schreibwerkstatt für junge Autor*innen. Nach ihrem Abi 2023 studiert sie heute Psychologie in Münster. Von Fantasie und Kreativität kann es aus Junos Sicht nie zu viel geben.