Kollit: Wasser marsch! (4/4)

Illustration verblichen
© Raul Daniel Noriega Baldeon

Das Kollit

ist Bremens Junges Kollektiv für Literatur. Hier vernetzen sich junge Autor*innen aus Bremen und umzu, um neue Räume für den literarischen Nachwuchs zu schaffen. Schreibtreffs, Auftritte, gemeinsames Netzwerken und die Herausgabe der Zeitschrift Koller sind Teil des Projekts.

Im April schreiben vier Mitglieder des Kollit für das Literaturmagazin Bremen über das Thema Wasser.

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Verblichene Wasserzeichen

Von Johanna Schwarz

Die Fotos lagen in der Kommode, ganz unten, denn die Bücher, Bücher über Bücher, mussten auch einen Platz finden. Die Wände halten nichts, sie bröckeln aus Löchern auf den Boden und haben schon das ein oder andere Regal mitsamt Topfpflanze Richtung Boden geschickt. Deshalb quellen die Kommoden über und nur, wer hier wohnt, hat die Chance, etwas zu finden, wenn danach gesucht wird. Aber jetzt wohnt hier niemand mehr, mein Großvater lebt nicht mehr, und es bleibt beim Ausräumen nur mein zufälliges Stoßen auf alte, vergilbte Fotografien, Urkunden und Dokumente, mit Wasserzeichen geprägt, die an andere Zeiten erinnern.

Das eine Foto zeigt einen kleinen Jungen mit einem Hund, das andere eine Familie, vierköpfig, mit garstig verkniffenen Mündern und steifen Kleidern. Niemand sieht besonders glücklich aus, was an der Gesellschaft liegen mag (das kann ich mir lebhaft vorstellen) oder an der Zeit.

Wenn meine Freundin jetzt hier wäre, würde sie auf das Bild mit dem kleinen Jungen zeigen und wieder einmal betonen, dass ich meinem Großvater wie aus dem Gesicht geschnitten sei. Und ich würde, auch wie immer, genauso verkniffen gucken wie die ganze Sippe, was sie zum Lachen und mich innerlich zum Kochen brächte. Aber ich sage nichts dazu, ich schweige nur, auch das wie immer. Und verfluche mich dafür, dass ich genauso feige bin wie die Gesichter, die mir jetzt entgegenblicken. 

Ich hasse es, durch all die alten Sachen wühlen zu müssen, in denen ich andauernd auf Erinnerungsstücke stoße, die ich lieber nie gesehen hätte, von denen ich mich bewusst all die Jahre ferngehalten habe und die jetzt, eins nach dem anderen, die Ängste bestätigen, die mich all die Zeit unterschwellig gequält haben. All die Abzeichen und Ehrungen, all die Scham, die diese Fundstücke in mir auslösen und mir verbieten, vor der Vergangenheit wegzulaufen, wie ich das so lange semi-erfolgreich getan habe.

Ich lege die beiden Fotos zurück in die Schublade, nehme mir eines der Bücher, die ich neben der Kommode hoch aufgestapelt habe und schleppe mich damit in die Küche. Das Geräusch des gluckernden Wasserkochers beruhigt mich etwas. Ich setze mich mit dem heißen Tee an den Küchentisch und schlage das Buch auf. Ein wenig Flucht in die Fantasie kann ich jetzt gut gebrauchen, ein wenig Pause, bevor ich weiter in die Vergangenheit eintauchen muss.

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Johanna Schwarz

wurde 1990 geboren und schreibt und lebt in Bremen. Hier hat sie Kultur- und Literaturwissenschaft studiert und ist seit 2015 in der Bremer Kulturszene aktiv. Neben der Mitarbeit beim Literaturfestival globale° und eigenen Schreibprojekten ist sie Teil von Kollit, dem jungen Literaturkollektiv Bremens. Das 2020 gegründete Kollektiv möchte die Bremer Literaturwelt vernetzen und im Herbst 2021 die erste Ausgabe des neuen Literaturmagazins Koller herausbringen.

Portrait Johanna Schwarz
© Katharina Kitzinger

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