Lesetipp: Anna Maria Stock empfiehlt

Zwei Buchcover von Anna Mayr

Die Themen „Arbeit“ und „Geld“ betreffen uns alle. Egal ob wir Arbeit haben oder nicht, egal ob wir Geld haben oder nicht. Schwierig ist es aber besonders für diejenigen, die keine Arbeit oder kein Geld haben – oder keine Arbeit und kein Geld, nicht selten geht das eine mit dem anderen einher. Die Autorin Anna Mayr ist in einer armen Familie aufgewachsen, ihre Eltern hatten weder Arbeit noch Geld. Heute hat Anna Mayr beides, sie verdient gut und muss sich deshalb weder um Arbeit noch um Geld Sorgen machen. Eigentlich. Doch Anna Mayr macht sich Sorgen. Darum, wie wir als Gesellschaft mit Geld umgehen, und mit den Personen, denen es an Geld und an Lohnarbeit fehlt. Aus dieser Sorge heraus hat sie zwei Bücher geschrieben.

In Die Elenden. Warum unsere Gesellschaft Arbeitslose verachtet und sie dennoch braucht zeigt Anna Mayr, wieso das kapitalistische System, in dem wir leben, ohne Arbeitslose nicht auskommt: Letztlich diene das Elend der Arbeitslosen als abschreckendes Beispiel, um uns alle an der Arbeit zu halten. Mit scharfem Blick geht sie den Vorurteilen gegenüber Arbeitslosen auf den Grund. Dabei zeichnet sie eine Kulturgeschichte der Arbeit, die einen traurigen Kulminationspunkt Anfang des neuen Jahrtausends findet, als Hartz IV verabschiedet wird. Ihren analytischen Blick verbindet Anna Mayr dabei mit persönlichen Schilderungen aus ihrem Leben als Kind zweier Langzeitarbeitsloser.

Auch in ihrem zweiten Buch Geld spielt keine Rolle gehen persönliche Erfahrungen und Systemkritik Hand in Hand. Hier schreibt Anna Mayr nun über die Zerissenheit, die aus ihrem neugewonnenen Wohlstand, ihrem „Aufstieg“ folgt. Einerseits ist es eine große Erleichterung, Geld zu haben. Andererseits ist ihr schmerzlich bewusst, dass ihr Wohlstand auf der Armut anderer beruht. Das Buch liest sich wie ein Kontoauszug, auf den sie einen sehr kritischen Blick wirft, und dabei immer wieder den Kopf schüttelt. Hat sie wirklich 600 Euro für eine Umzugsfirma gezahlt? Aber ist das nicht eigentlich noch viel zu wenig? Ist es nicht ungerecht, dass die Umzugshelfer weniger als sie verdienen? Dass deren Arbeit nur dann nachgefragt wird, wenn sie weniger verdienen als die, die sie engagieren?

Kapitelweise legt Anna Mayr ihre Ausgaben offen, um dadurch auf die Schieflagen des Systems zu zeigen, in dem wir leben: im Sozialstaat, im Bildungswesen, in der Lebensmittel-Industrie, dem Gesundheitssystem, der Wohnungspolitik und so fort.

Beide Bücher sind erhellende wie wichtige Lektüren. Sie zeigen, dass die „soziale Marktwirtschaft“, in der wir leben, weniger sozial ist als ihr Name vermuten lässt. Und sie zeigen auch, dass es Auswege gäbe. Ein Anfang ist getan, wenn wir mehr über all das sprächen. Nur so können die Ungerechtigkeiten überhaupt offengelegt werden. Anna Mayr geht da mit gutem Beispiel voran. Unbedingt lesen!

Die Elenden | Anna Mayr | SACHBUCH Hanser Berlin | Berlin 2020 | 208 S. | 20,00 €

Geld spielt keine Rolle | Anna Mayr | SACHBUCH Hanser Berlin | Berlin 2023 | 176 S. | 22,00 €

Anna Maria Stock

kommt ursprünglich von der schönen Mosel. Deshalb ist sie froh, dass es auch in Bremen viel Wasser gibt. Was es hier außerdem gibt: Viele interessante Menschen, die interessante Dinge tun, über die sie als Kulturjournalistin berichtet. Im Radio, oder im Literaturhaus Podcast. Ansonsten sieht man sie immer wieder an der Uni, wo sie Philosophie studiert.

Zum Literaturhaus Podcast

Porträtbild von Anna Maria Stock
© Charlotte Wiesiolek

Weiterlesen: