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Das Cover von Nadia zeigt die Silhouette einer Frau.

Nadias Traum ist in Erfüllung gegangen. Ihre Installation (S.T.I.P.) wird in den Hamburger Deichtorhallen ausgestellt. Sie kehrt zurück in ihre Heimatstadt und taucht ein in eine Vergangenheit, die von Verlusten geprägt ist. Denn in Hamburg lebt ihre große Liebe Rahel, die inzwischen verheiratet ist und Kinder hat, zu der Nadia aber noch immer eine Verbindung spürt. Auch ihre Schwester Dilhan ist allgegenwärtig. Sie verschwand vor fünf Jahren spurlos und Nadia setzt sich in ihrer Installation mit dem Verlust ihrer Schwester auseinander.

Can Mayaoglus Roman lässt uns Nadia sehr nahe kommen, die Geborgenheit sucht, welche sie zum Beispiel bei ihrer Schwester Minoo findet. Beeindruckt hat mich an Nadia besonders die Darstellung dieser Frauenfigur, die ihre Ecken und Kanten haben darf, die nicht sanft oder leicht zugänglich ist und die sich ihre eigenen Fehler zugesteht. Can Mayaoglu ist es gelungen, eine authentische Protagonistin zu erschaffen, die auf ihrem Weg Verletzungen davongetragen hat, von denen einige nur schwer heilen. Aber sie verfügt über innere Stärke und Entschlossenheit. Der Umgang mit Trauer und Traumata erfolgt mit großem Fingerspitzengefühl.

Wir blicken auch durch die Augen der anderen Figuren, tauchen in ihre Gefühlswelt ein und sehen Nadia in ihren Blicken gespiegelt. Die Kraft des Romans macht für mich aber die Darstellung von Nadia aus, ein Ausnahmefall einer weiblichen Figur, die ihre Wut spüren und ausleben darf, die nicht reduziert wird auf die Emotionen, die weiblichen Protagonistinnen noch immer oft zugeschrieben werden, wie Hilflosigkeit und Verzweiflung. Sie reflektiert, entschuldigt sich aber nicht ständig für ihr Verhalten, mit dem sie durchaus auch aneckt. 

Nadia ist für mich ein Beispiel dafür, wie eine empathische und authentische Darstellung einer weiblichen Figur erfolgen kann. Ein Text, der zum Nachdenken anregt und der mich noch sehr lange begleiten wird. 

Der Roman ist im Albino Verlag erschienen, der 2015 neu gegründet wurde und sich queere Literatur zum Schwerpunkt gesetzt hat. 

NADIA | Can Mayaoglu | ROMAN Albino Verlag | Berlin 2023 | 264 S. | €24,00


Das Bild zeigt Natascha Bläß vor blauem Himmel am Meer.
© privat

Natascha Bläß

Der Austausch über Literatur ist für Natascha Bläß ein zentrales Anliegen. Sie hat Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft in Braunschweig studiert und arbeitet als Lehrerin für Deutsch, Englisch und Darstellendes Spiel an einer Gesamtschule. 2017 begann sie den Literaturblog auf.anderen.seiten auf Instagram, auf dem sie Romane rezensiert mit einem Schwerpunkt auf weiblichen und queeren Autor*innen. Unter dem Pseudonym Tasha Winter schreibt sie selbst queere Geschichten. Sie besucht Bremen gern und regelmäßig, um Lesungen zu hören oder in Buchhandlungen zu stöbern.

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