Bereits zum dritten Mal ist der irische Autor Paul Murray zu Gast in Bremen. Dieses Mal hat er seinen fünften, frisch auf Deutsch erschienenen Roman Der Stich der Biene im Gepäck. Das Buch wurde als Irish Book of the Year 2023 ausgezeichnet, stand auf der Shortlist für den Booker Prize und würde mit dem Nero Book of the Year Award im Bereich Fiction ausgezeichnet. Nicht schlecht! Um so ungewöhnlicher, dass Murrays Roman in der Übersetzung 700 Seiten umfasst, haben doch viele Menschen im Literaturbetrieb gar nicht mehr die Muße für so lange Texte.
Diese Familiengeschichte geht unter die Haut – genau so wie der Stachel einer Biene, der am Hochzeitstag von Imelda und Dickie Barnes der viele Jahre später folgenden Krise den Weg bereitet. Auf die wegen des versehrten Gesichts der Braut ruinierte Hochzeit folgt eine unglückliche Ehe: Imelda hat eigentlich nicht Dickie, sondern seinen zu jung verstorbenen Bruder Frank, geliebt. Ausschweifendes Onlineshopping und der schöne Schein halten Imelda viele Jahre über Wasser, doch dann geht Dickies Autofirma bankrott. Auch die 18jährige Tochter Cass ist sich sicher, ihr Vater habe damit ihr Leben ruiniert. Sie flüchtet sich mit ihrer besten Freundin Elaine ins Nachleben des kleinen Städtchens in den Midlands, sicher, dass ihr der Weg ans Trinity College ohnehin verbaut sei. Ihr Bruder PJ hingegen steht auf der Seite des Vaters – mit ihm gemeinsam baut er einen Atombunker für die Familie im nahegelegenen Wald.
Nacheinander erzählen die Mitglieder der Familie Barnes im ersten Teil des Romans vom Beginn der Krise. Was langsam als Coming-of-Age-Geschichte aus der Warte von Cass anfängt, verändert sich dynamisch im Romanverlauf hin zum Beispiel zu einem rasanten inneren Monolog aus der Perspektive von Imelda, bis der Text im zweiten Teil richtig an Fahrt aufnimmt. Immer schneller wechseln die Perspektiven, außerdem wird die Erzählung jetzt an ein Du adressiert. Am Ende, so viel sei verraten, wird es dann richtig dramatisch – unterwegs aber gelingt es dem Autor, mit viel Humor und erzählerischem Talent auch die komischen Seiten der Tragödie nicht zu kurz kommen zu lassen. Der Stich der Biene ist ein besonderer Roman – besonders lang, aber auch ein besonderes Lesevergnügen.
Annika Depping
ist seit einem Praktikum im Sommer 2014 im Team des Literaturhauses Bremen. Inzwischen leitet sie die Textredaktion des Literaturmagazins, organisiert das Kinderlesefestival Galaxie der Bücher und andere Projekte. Für das Literaturhaus ist sie außerdem Teil der Jury zur Vergabe des Bremer Autor*innenstipendiums. Sie hat in Bremen Germanistik mit Schwerpunkt Literaturwissenschaften studiert und liest am liebsten in ihrem Schrebergarten, wenn ihre Kinder ihr dazu die Zeit lassen. Über ihre Leseeindrücke schreibt sie auch im Online-Magazin Bücherstadt Magazin.
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