Das unheimlichste an Theresia Enzensbergers dystopischem Roman ist, dass ihre scheinbare Zukunftsversion erschreckend realistisch erscheint. Wir erkennen Entwicklungen, die längst angefangen haben und von ihr lediglich zu Ende gedacht wurden. Dabei ist Auf See aber vor allem ein erstklassig geschriebener und aufgebauter Roman. Enzensberger erzählt die Geschichte der 17 jährigen Yada, die auf einer schwimmenden, autarken „Stadt“ in der Ostsee aufwächst, während die übrige Welt scheinbar im Chaos versinkt – bis sie beginnt, diese von ihrem Vater konstruierte Utopie in Frage zu stellen. Auf der Suche nach Antworten (und ihrer Mutter) gelingt ihr die Flucht von der Insel, die sie zuletzt ins triste und menschenfeindliche Berlin führt. Dort lebt Helena, die zweite Protagonistin des Romans. Die von Fans bis zum Wahn gehypte Künstlerin treibt feiernd durch Berlin, weiß mit ihrem Einfluss nichts anzufangen, weil sie scheinbar längst resigniert und sich mit dem Zustand der Welt abgefunden hat.
Coming-of-Age Geschichte, Dystopie, Gesellschafts- und Kulturkritik, feministische Perspektiven – dieser vielseitige und komplexe Roman macht Spaß und regt zum Nachdenken an. Der Wechsel zwischen mehreren parallelen Erzählsträngen sowie verschiedene beinahe dokumentarische Einschübe über gescheiterte Utopien und alternative Gesellschaftsentwürfe in der Geschichte der Menschheit machen das Buch zu einem abwechslungsreichen und zugleich fesselnden Leseerlebnis.
AUF SEE | Theresia Enzensberger | ROMAN Hanser | München 2022 | 272 S. | €24,00
Der Buchladen im Ostertor
wurde 1977 als erster alternativer Buchladen im Bremer Viertel gegründet. Eine bewegte Zeit, kurz nach der Gründung der Uni-Bremen, vielfältiger politischer Bewegungen, wie z.B. der Anti-AKW- und Frauenbewegung, was auch Einfluss auf die Sortimentsauswahl hatte: politische Literatur linker Verlage, Bücher zur Emanzipation gesellschaftlicher Gruppen, Geschichte, Philosophie, Feminismus, Pädagogik, Psychoanalyse und Subkulturen. (Über die Jahre wurde das Sortiment, auch in Anpassung an veränderte Bedürfnisse der Kundschaft, verändert bzw. erweitert.)
Zum 1. Mai 2023 übernehmen Marlene Schmidt und Alena Glandien das Ruder im Buchladen Ostertor. Die beiden gebürtigen Bremerinnen lernten sich bei der Buchhändlerinnenausbildung in Berlin kennen und erfüllen sich nun den Traum eines eigenen Ladens. Den Geist und den besonderen Charme des Buchladens wollen sie bewahren, dabei aber sanft modernisieren und gemäß ihrer persönlichen Interessen und Fähigkeiten neue Schwerpunkte z.B. auf englischsprachige Literatur und Kinderbücher setzen.
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