Die Welt zwischen den Nachrichten, mit diesem Titel hat Judith Kuckart im Herbst 24 nicht nur ihre Inszenierung am Stadttheater Bremerhaven überschrieben, sondern auch ihren autofiktionalen neuen Roman. Verwirrend und interessant zugleich ist, dass Theaterstück und Roman völlig verschiedene Sujets haben. Während das Theaterstück mit seiner Night Radio Show die Frage nach der tröstenden Funktion von Literatur stellt, geht es in ihrem Roman um die Erfahrungswelt einer ganzen Generation, der Generation Judith Kuckarts. Dabei bewegt sie sich stets auf der Grenze zwischen Erinnerung, Fantasie und Realität und geht der Frage nach: Was ist wirklich, was wir erleben, und was entsteht in uns durch das ständige Wiederentdecken und Vergessen?
Auf der Erzählebene erfahren wir zunächst vordergründig über das Leben der Autorin, die als junge Frau bei der legendären Pina Bausch in Wuppertal Tanzunterricht nahm. Wir erfahren von ihrem Aufwachsen im westdeutschen Schwelm und von der prägenden Rolle ihrer Familie. Doch die Erzählweise ist nicht linear, vielmehr wird die Geschichte durch Rückblicke und zufällige Erinnerungen erzählt. Kuckart schichtet Puzzleteile ihrer Lebensgeschichte aufeinander, die sich immer wieder neu zusammenfügen. Sie fragt immer wieder: „Ist das geklaut, erfunden, geträumt oder einmal erzählt worden?“ und hinterfragt die Authentizität ihrer eigenen Erlebnisse. Gerade Ihre fragmentarische Erzählweise lässt Raum für die eigene Imagination der Lesenden.
Neben der persönlichen Geschichte wirft der Roman auch einen Blick auf die politische und gesellschaftliche Realität der Zeit. Die Erzählung schneidet dabei Momente der Geschichte an, wie etwa die Begegnung der Protagonistin mit der „wilden Tochter des Apothekers“, die später im RAF-Untergrund verschwinden wird. Kuckart stellt die Frage, wie zufällige Begegnungen im Leben die eigene Identität prägen.
Der Roman ist ein bemerkenswertes literarisches Puzzle, das uns als Lesende die Möglichkeit gibt, unsere eigene Vergangenheit zu hinterfragen. Was bleibt von uns, wenn die Erinnerungen verblassen oder durch die Zeit verzerrt werden? Wie prägen uns die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, und wie verändern sich diese über die Jahre? Diese Fragen stehen im Zentrum von Die Welt zwischen den Nachrichten, die von Judith Kuckart mit Leichtigkeit in einer poetischen und zugleich klaren Sprache erzählt werden. Ein Buch, das sowohl emotional als auch intellektuell anspricht.
DIE WELT ZWISCHEN DEN NACHRICHTEN | Judith Kuckart | ROMAN Dumont Verlag | Köln 2024 | 192 S. | €24,00