Explizite Moral begegnet Leser*innen zumeist in Fabeln, Märchen und ähnlichen Erzählungen. Wie wäre es also mit Stefanie vor Schultes Debütroman Junge mit schwarzem Hahn? Dieses liest sich wie ein modernes Märchen, weist Züge einer Fabel auf und nimmt die Lesenden mit in die Welt des elfjährigen Martin.
Diese Welt ist geprägt von allerlei Missständen und Widrigkeiten. Hähne können sprechen, ein Schwarzer Reiter entführt kleine Kinder und eine grausame Fürstin treibt ihr Unwesen. Martin lebt allein, da seine Familie den Umständen der Welt zum Opfer fiel. Kriege und Hungersnöte sind nur einige Eckpunkte dieser. Doch Martin hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine Hoffnung nicht zu verlieren und für das Gute in der Welt einzutreten. Unerschütterlich macht er sich gemeinsam mit einem Maler auf den Weg, um das Böse zu besiegen.
Vor Schulte erzählt von einem kleinen Jungen mit einem reinen Herzen und dessen unbeirrbaren Gerechtigkeitssinn. Scheinbar mühelos bewegt sich Martin trotz seines zarten Alters mit einem ausgeprägten moralischen Kompass durch eine düstere Mittelalterwelt und vergisst, obgleich der immensen Boshaftigkeit um ihn herum, nie seine Werte und Ziele. Das Werk scheint wie aus der Zeit gefallen, liest sich gar wie aus einem anderen Jahrhundert stammend und gleichzeitig frisch und herzerwärmend.
Herrlich bizarr sind einige Szenen, die Figuren skurril. Die Dichotomie zwischen Gut und Böse mag zwar sehr ausgeprägt sein, doch tut sie dem Text keinen Abbruch. Konträr zu brutalen Szenen finden Lesende stets einen Schimmer an Zuversicht, die Hoffnung, dass sich für den liebgewonnenen Protagonisten (und dessen Hahn) trotz aller Widrigkeiten final alles zum Guten wenden wird. Besonders für die dunkle Jahreszeit ein Buch, das sprachlich begeistert und Eskapismus schafft.
Und die Moral von der Geschicht‘? – versteckt sich zwischen den Zeilen.
JUNGE MIT SCHWARZEM HAHN | Stefanie vor Schulte | ROMAN Diogenes Verlag | Zürich 2021 | 224 S. | € 22,00
Nantke Penner
schreibt auf ihrem Instagram-Account @coffeecakesandbooks seit mehreren Jahren über Literatur. Diese ist vor allem momentan die größte Quelle, um ihr Fernweh zu stillen. Um es mit Jean Paul zu sagen: „Bücher lesen heißt, wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben, über die Sterne.“ So fliegt sie durch die Seiten, um in neue Welten einzutauchen und verschiedene Blickwinkel kennenzulernen. Seit einiger Zeit entdeckt sie gerne neue Stimmen der Literatur – vor allem mit Fokus auf Autorinnen.
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