Immer wieder leuchten sie auf, die nachtblauen Erinnerungen, fügen sich in einen klaren Zusammenhang, sind verbunden mit scharfen Bildern, Gerüchen, Geräuschen. Ja, so muss es gewesen sein, aber dann verschwindet alles wieder in ein Schattendasein, zersplittert im Dunkel des Vergessens.
Vier Tage ist Zoeys Mutter nun tot. Viele Tage, Wochen, Monate, Jahre ist sie gestorben, Zoey stand an ihrer Seite. „Ich war Teil eines bizarren Duos, jetzt bin ich eine bizarre Einzelheit.“ (S. 18)
Allein steht sie nun an der französischen Atlantikküste, will ihre Mutter an diesem Ort am Meer begraben. Es ist der Ort, an dem sie einst lebten und den sie ihr Zuhause nannten. Früher, als auch ihre jüngere Schwester Oda noch bei ihnen war. Wann und wie verschwand Oda? Hat Zoey wirklich alles vergessen, ihre Mutter nie gefragt oder einfach keine Antwort bekommen?
„Nie haben wir von Oda gesprochen, aber: Nie haben wir nicht von ihr gesprochen. Die Luft, die wir zusammen atmeten dort im Dachgeschoss, sie war voll von ihr.“ (S. 75)
Mit der Rückkehr an den Küstenort tauchen mehr und mehr Bruchstücke der Vergangenheit auf, die tief in Zoey eingeknotet waren. Warme Erinnerungen an das Leben auf einem abgelegenen Campingplatz, an glückliche Stunden am Meer, aber auch an eine dunkle Nacht im Wald, in der alles in ihrer kleinen Familie zerbrach.
Gleichzeitig spürt Zoey das Erwachen einer hellen Gegenwart, denn am Atlantik lernt sie Marlene kennen, die ihre Hand fest umschließt und sie auf ihrer Spurensuche in die Vergangenheit begleitet.
Franziska Gänsler entwirft in ihrem zweiten Roman eine leise, sehr nachdenklich stimmende Geschichte, die durch ihre klare, aber poetische Sprache und die Form assoziativer Gedankenströme besticht. WIE INSELN IM LICHT erzählt von schmerzvollem Verlust und zärtlichem Abschied, von schweigendem Unheil und heilender Erinnerung.
„Durch das offene Fenster ist das Meer zu hören, und ich denke darüber nach, wo in diesen Wellen aus Leugnung, Wut, Depression, Verhandeln und Akzeptanz ich treibe“ (S. 26)
WIE INSELN IM LICHT | Franziska Gänsler | ROMAN Kein & Aber | 2024 | 208 S. | € 23,00
Stephanie Schaefers
ist promovierte Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und seit 2010 als freie Literaturdozentin aktiv. In der Erwachsenenbildung bietet sie Vorträge, Kurzworkshops, wöchentliche Seminare sowie Bildungszeiten in der Reihe „Literatur an Ort und Stelle“ an.
Als @textwerkbremen ist sie auf Instagram zu finden. Auch dort teilt sie ihr Wissen über literarische Werke und ihre Begeisterung für Gegenwartstexte. Ob analog oder digital: Literatur wird für Stephanie Schaefers im direkten Austausch mit anderen Literaturinteressierten lebendig.
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