Lesezeichen: Ernesto Salazar-Jiménez

Foto von einem Mund, der eine Seite aus einem Wörterbuch isst
© Rike Oehlerking

Geschmack des Spanischen
Von Ernesto Salazar-Jiménez

Schrille 40 Grad Hitze auf der Gran Via in Madrid. Er schrie; er redete mit sich selbst; er bat um Durchlass; er lobte seinen Schweiß, seine gute Sprache; er setzte sich auf den Boden, stand wieder auf, steckte in die Brusttasche eine Papierserviette, die er gerne auf der linken Seite seiner Jacke trug. Er betrachtete sein Spiegelbild im Schaufenster eines Ladens. Jeder würde denken, dass er die Leute im Geschäft anschaute. Nein, er sah sich an und dachte darüber nach, wie zerknittert seine Jacke war und was seine Freunde des Königskreises sagen würden. Er hatte ein Spanisch-Wörterbuch in seiner Tasche. Er aß alle zwei Minuten eine Seite. Das gefiel ihm, er schaute zum Himmel hoch und versuchte mit seiner Zunge Worte zu entziffern, die ihm in diesem Moment über die Lippen glitten. Macadamia- Macadamianuss, Maíz-Mais, Mandarina-Mandarine, Mango-Mango, Maní-Erdnuss, Manzana-Apfel, Maracuyá-Maracuja, Melón-Melone, Moras-Brombeere, Morrón-Paprika Pfeffer, … Mundo-Welt, Museo-Museum, Música-Musik...Ja, Musik, Musik! Es ist keine Frucht, es ist kein Gemüse ... aber es gleitet durch deine Adern, wenn du es in dein Ohr steckst. Es tat ihm leid, dass er alle "M's" gegessen hat. Er hätte gerne mehr von der "música" gehabt. Er begann eine alte Melodie zu summen, die er im Haus seiner Großeltern gelernt hatte. Er dachte, er würde sich nicht mit anderen Worten begnügen, bis er zu Paella, Piña, Piña Colada, Sangría, Tortilla de patatas-sp. Bauernomelette käme...Aber es reichte ihm nur, zur Musik zu kommen, um sich bis zum nächsten Tag zu sättigen.


Ernesto Salazar-Jiménez

wurde in Caracas, Venezuela, geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Seit 2016 ist er Mitglied der Schreibgruppe des Blaumeier Ateliers. Seit 2017 nimmt er an zahlreichen Workshops und Lesungen des Bremer Literaturkontors und der Bremer Literaturszene teil. Kurzgeschichten veröffentlicht in: Grenzen (Blaumeier 2018), So nimmt man das Leben mit (Sujet Verlag 2019),  Blaumeier oder der Möglichkeitssinn (Blaumeier 2020), Das grüne Ding (Blaumeier 2021). Eine Probe seiner Prosa-Texte ist auch in der MiniLit Nr. 14 des Bremer Literaturkontors zu sehen.

 

Porträt von Ernesto Salazar-Jimenez

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