Wir sitzen in einem U an weißen Tischen, und im U steht Herr GSG 9. Er heißt nicht wirklich so, aber er hat sie einst ausgebildet, also nennen wir ihn so. Er hat schon viel gesehen und erlebt und jetzt zieht er durchs Land und trägt vor, was er über Deeskalation weiß, also eigentlich vor allem, was er über Eskalation weiß.
In seiner Welt, da eskaliert einiges, soll heißen: alles. Und in seiner Welt, da muss man sich zur Wehr setzen und kann dafür einiges einsetzen, soll heißen: alles. Wir lernen, dass Fingernägel Waffen sind, wenn man sie nur kräftig genug durch Gesichter schreddert. Wir lernen, dass es soundso viel Kilo braucht, um ein Knie kaputt zu machen, und dass man noch lange nicht verloren hat, wenn man auf dem Rücken liegt, nein, man hat mindestens soundso viel Kilo Trittkraft und der Gegner hat zwei Knie. Wir lernen, dass wir lieber flüchten sollten. Und nur wenn wir nicht flüchten können, dann sollten wir kämpfen. Und manchmal, da müssen wir aufgeben und alles hergeben, damit wir überleben.
Herr GSG 9 sagt: Wenn er eine Waffe hat, dann gebt dem Angreifer alles, was er will. Die Männer in der Runde nicken, ja, lieber alles hergeben. Wir Frauen tauschen Blicke, keine nickt. Von einer Frau haben wir diesen Rat noch nie gehört, weil die wüsste, was alles heißen kann.
Als Herr GSG 9 fertig ist, ist es dunkel, wir haben Feierabend. Die Männer packen zusammen und gehen einfach raus. Wir überlegen, wo die Straßen im Dunkeln am hellsten sind, und gehen trotzdem raus.
Gianna Lange
wurde 1988 in Bremen geboren, studierte Journalistik und Transnationale Literaturwissenschaft in Bremen und London. Sie ist Gründungsmitglied des Lyrikkollektivs gabrieleschreibtgedichte sowie des Kollektivs für junge Literatur Kollit, in dem sie Redaktionsmitglied der Literaturzeitschrift Koller ist. Im Jahr 2015 erhielt sie vom Bremer Literaturkontor das Bremer Autor*innenstipendium für ihr Romanprojekt Elise. Im Frühjahr 2025 erscheint ihr daraus entstandener Debütroman in der Frankfurter Verlagsanstalt. Gianna Lange lebt in Bremen und arbeitet dort im Konzerthaus Die Glocke sowie beim Musikfest Bremen.
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