Klaus Johannes Thies: Lesezeichen

Mann mit Hut im Bus
© Abi Ismail on Unsplash

DER FÜNFUNDFÜNFZIGSTE BREMER LITERATURPREIS

Von Klaus Johannes Thies

Ich wollte das alte Jahr noch einmal durchlaufen lassen, im Schnellgang sozusagen.

Aber heute kam die Einladung zur Verleihung des 55. Bremer Literaturpreises. Wie alle Jahre zuvor, ist er an mir vorbeigegangen. Ich grüßte ihn noch flüchtig von hinten. Wie stolze Fregatten ziehen die Preisträger an mir vorüber... als hätte die eine Welt, in der sie verkehrten und Preise kassierten, und ich in der anderen, nichts miteinander zu tun, als könnten wir uns gar nicht kreuzen und zuwinken, oder uns beschießen mit den alten Schiffskanonen, die von der Decke des Bremer Rathauses herabhängen. So jung ist das neue Jahr, und ich dachte schon wieder, wenn auch nur versehentlich, ans Sterben. Eines Tages würde ich dazugehören, mit oder ohne Förderpreis. Den müsste ich dalassen, in einer Glasvitrine, am Abend auch beleuchtet, selbst wenn ich mich dagegen sträube.

Mit solcherart Gedankensorte im Kopf konnte ich natürlich nicht schlafen – wollte ich es nicht riskieren. Als könnte man davon auch sterben. Lieber wollte ich jetzt auch noch die Bewachung von mir selber übernehmen, wenn auch ohne Preise. Wobei die Bremer Literaturauszeichnung, ausgerechnet sie, immer wieder meinen Händen entglitt. Als hätte ich sie viel zu intensiv mit Seife eingeschmiert. Sogar der Bürgermeister wollte mir mit Hilfe seiner weichen Hände eine kleine Trosturkunde überreichen. Um mich darauf vorzubereiten, werde ich mich noch heute rasieren und neben Frau Erdmann Platz nehmen und ihren Knien zusehen. Die schimmern und leuchten so schön in der ersten Reihe und sehen aus, als könnten sie nie sterben, im Gegensatz zu mir.

Übrigens: In diesem Jahr wird bereits der 68. Bremer Literaturpreis verliehen - wieder nicht an Klaus Johannes Thies. Die Auszeichnung geht an Judith Hermann, der Förderpreis an Matthias Senkel.

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Klaus Johannes Thies

wurde 1950 geboren, wuchs in Bielefeld auf, lebt seit 1975 in Bremen und seit 2000 auch in Berlin. Lange Zeit war er für Radio Bremen tätig. Er schreibt Prosaminiaturen und Hörspiele. 2015 erschien Unsichtbare Übungen. 123 Phantasien und 2018 der Band Aus meinem Fenster. Parkplatz-Rhapsodien. 2020 erschien der Auswahlband Tango ohne Argentinien. 111 Shorts (edition AZUR).

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