Die Nacht und der Tod - das sind zwei Themen, die gut zueinander passen. Das findet auch Autorin Maren Wurster, die 2023 mit dem Tapetenwechsel-Stipendium von der globale° und vom virtuellen Literaturhaus ausgezeichnet wurde. Im Interview mit Annika Depping erzählt sie mehr über ihre Recherchen zu Billig-Bestattungen in Brno und ihr Memoir Mama stirbt, Papa auch.
Mit dem Tapetenwechsel-Stipendium, das von der globale° und dem virtuellen Literaturhaus verliehen wird, haben Sie bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Brno über Billig-Bestattungen und das Sterben recherchiert. Was haben Sie in Tschechien erlebt?
Zunächst einmal wollte kein Billigbestatter, keine Billigbestatterin mit mir sprechen. Ich habe eine Vermutung, warum. Das Geschäft mit den Leichen, die über die deutsch-tschechische Grenze gefahren werden, ist kein schönes. Es ist das Grundproblem des Kapitalismus: Wenn das Geld das entscheidende Kriterium ist, überschattet es andere Werte. Würde. Pietät. Wobei ich da keine ausschließende Antwort geben kann, dazu habe ich zu wenig erfahren. Was ich allerdings erfahren habe, ist, dass die Tschechen einen freieren Umgang mit den sterblichen Überresten haben, es gibt keine Friedhofspflicht wie in Deutschland. Das wiederum gefällt mir. Manche Urnen werden zu Hause aufbewahrt oder im Garten beigesetzt. Die Hinterbliebenen können die Asche auch in den Himmel katapultieren. Was auch immer eine oder einer davon halten mag, ein entspannter und persönlicher Umgang mit dem Tod, auch mit Humor und Fantasie, begrüße ich. Er nimmt dem Tod den Schrecken.
Wissen Sie schon, was aus dem Material und den Erfahrungen werden wird, die Sie dort zusammengetragen haben?
Eines der Berliner Bestattungsunternehmen, die in Tschechien einäschern, führt auch ordnungsamtliche Bestattungen durch. Sie ist für Verstorbene, bei denen keine Angehörigen ermittelt werden können. Den Zuschlag erhält, wer den günstigsten Preis anbietet. Das ist an sich schon eine fragwürdige Bedingung. Wie soll mit einem Betrag von ein paar hundert Euro eine würdevolle Bestattung stattfinden? Das beschäftigt mich. Ich möchte das kontrastieren mit der Praxis der Krykokonservierung, die im engen Sinn keine Bestattung, sondern eine Konservierung des toten Körpers ist. Menschen sind bereit, dafür rund 200.000 Euro zu zahlen. Im Laufe meiner Recherchen wurde mir klar, dass ich einen Dokumentarfilm über diese beiden Formen des Umgangs mit Verstorbenen machen möchte. Interessant ist, dass bei beiden Praktiken aus meiner Sicht ethische wie spirituelle Aspekte fehlen.
Im Dezember lesen Sie im Theater Bremen aus Papa stirbt, Mama auch, Ihrem bereits erschienenen Buch über den Tod. Was haben Sie bei der Beschäftigung mit dem Thema gelernt?
Zunächst war ich überrascht, wie fern der Tod mir in meinem Leben war und dass ich über vierzig Jahre alt werden musste, bis ich einen toten Menschen gesehen habe, meinen Vater. Ich bin da keine Ausnahme. Wir „modernen“ Menschen haben den Tod ganz schön weit weg von uns geschoben. Das Paradoxe dabei ist: Je mehr wir ihn verdrängen, umso grausiger erscheint er uns. Seit ich das Sterben meines Vaters erlebt und begleitet habe, Gevatter Tod also begegnet bin, bin ich zuversichtlich. Auch, was meinen Abschied von dieser Welt mal betreffen wird. Ein Gehen in Frieden ist möglich, ganz gleich, welche Krankheit ein Mensch hat. Wir brauchen keine Maschinen dafür, wir brauchen keine Angst vor Atemnot oder Schmerzen, wir brauchen Menschen, die uns begleiten, manchmal auch mit Medikamenten, und eine gute Umgebung.
Im Literaturmagazin geht es diesen Monat um das Thema Nacht. Welche Rolle spielt die, wenn es um das Sterben geht?
Die Nacht ist ein schönes Bild für den Tod. Sie bricht nicht unerwartet herein, wir wissen, dass sie kommt, unweigerlich. Ihr Dämmern warnt uns. Und trotzdem erschrecken wir – ist die Nacht dann da – vor ihrer Schwärze, ihrer Tiefe. Das ist wie die eine Seite des Todes: das Absolute. Der Tod nimmt uns einen geliebten Menschen. Wir verlieren ihn für immer, unwiederbringlich, der Mensch wird in diesem Körper nie wieder sein. Das ist schmerzhaft, das ist ein nie ganz zu begreifender Verlust. Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten, singt Rio Reiser. Das ist die andere Seite: Der Tod ist nur ein Übergang. Wohin, das wissen wir Lebenden nicht. Doch danach beginnt ein neuer Tag. Die Seele ist nicht verloren. Das habe ich erfahren.
Maren Wurster
wurde 1976 geboren. Sie studierte Filmwissenschaften und Philosophie in Köln und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2017 erschien ihr Roman Das Fell, 2021 folgte ihr Memoir Papa stirbt, Mama auch, 2022 der Roman Eine beiläufige Entscheidung ebenso wie der Essay Totenwache. Eine Erfahrung. In dem literarischen Projekt Archäologie des Verlusts hat sie Autor*innen eingeladen, ihre Verluste auszugraben, die Texte und Fragmente wurden 2022 in der Volksbühne Berlin präsentiert. Zusammen mit Petra Kappler hat sie das Heft Akzente 1/2023 mit den Texten des Projekts herausgegeben.
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