Das Zusammenspiel zwischen Stimmlippen, Atmung, Muskeln und Nerven ist gestört. Kein voller und klarer Klang mehr, sondern ein rauer, kratzender, piepsender, brummender, versetzter, dünner, flacher. Das Sprechen strengt an, hier und da versinkt die Stimme. Vielleicht ist Heiserkeit an Sprache Voraussetzung für das Literarische. Denn an der Stimmstörung krankt der Körper. Er hat geschrien, zu laut, zu viel, er hat gelacht. Er hat die ganze Nacht durchgeraucht, getanzt, das Morgen vergessen, oder dagesessen, kein Genuss, Starre und Zerstörung. Es haben sich Fremdkörper auf das Band gesetzt, das Edelgas ergibt Micky-Maus, Streptokokken fordern Kehlkopf heraus. Es ist nun nicht mehr selbstverständlich, dass etwas Verständliches, dass etwas Gewohntes herauskommt. Nicht einmal, dass die Wörter, die vorher im Kopf geplant und gehört werden, nach außen dringen. Das Organ ist überfordert, hat andere Baustellen, muss wieder ganz werden, reparieren, an sich arbeiten, in sich arbeiten. Aber ständig bekommt es neue Signale, soll funktionieren, sich ausdrücken. Es bleibt beim Krächzen, bleibt mitunter unverständlich und an manchen Stellen einfach stumm. Manchmal geht es nicht anders – es verharrt in einem nichtssagenden All, in dem es keine Geräusche geben kann. Es kann aber auch ganz absichtlich pausieren, denn es nimmt die Situation ernst, das Nicht-Können und akzeptiert die Annäherung, die immer nur eine von Vielen sein kann. Hier spitzen sich die Antennen der Außerirdischen, die aufgehört haben auf die verstellten Laute zu warten und stattdessen die Stille nutzen, um zu verarbeiten, Verknüpfungen herzustellen zwischen dem was war und was vielleicht noch kommen wird. Ihr Unverständnis und ihre Irritation über das Unklare, das nicht zusammenzupassen scheint – die Frequenzen haben sich in der Verklebung der Stimmbänder verändert – regt sie an. Sie sind auf sich zurückgeworfen, weil sich auf dem ersten Blick kein Schluss aus dem ziehen lässt, was das Organ im Körper des anderen hervorbringt. Wie es wohl aus meinem eigenen Organ klingen würde, wenn ich eins hätte? Und wie klingt meine Stille? Da ist ein wohliger Zwang, der sie zum Kombinieren treibt, zum Überdenken und Umdrehen. Hier gibt es mehr zu erfahren als auf den Normal-Frequenzen des klaren Klangs. Sie finden keine Antwort, nur eine Annäherung. Heiser regt sich das Organ und fragt: „Wer bist du?“
Anna Yeliz Schentke
ist 1990 in Frankfurt geboren, aufgewachsen und lebt auch heute dort. Das letzte Mal in Istanbul war sie Ende 2015. Im Frühjahr 2020 nahm sie an der Schreibwerkstatt der Jürgen Ponto-Stiftung teil und stand im Herbst 2020 auf der Shortlist des Wortmeldungen-Förderpreises. Kangal ist ihr Debütroman und stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2022. Schentke erzählt darin furchtlos und aufrichtig von der Freundschaft in instabilen Zeiten. Im Februar ist sie mit dem Buch in unserer Lesereihe Satzwende zu Gast in Bremen.
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