Ich mache jetzt seit fast fünf Jahren Praktikum bei meinem Kind, ich bin ein mittelmäßiger Vater. Beruhigenderweise hat mir neulich jemand erzählt (ich hätte gerne eine zitierfähige Quelle…), Kinder von mittelmäßigen Eltern würden die glücklichsten Erwachsenen. Klar, wenn man richtig saumäßige Eltern hat, dann ist das scheiße, brauche ich wohl nicht zu erläutern. Und wenn man die perfekten Mega-Eltern hat, tja, dann ist das halt auch schwierig, kann man sich ja vorstellen. Seitdem fällt es mir ein klitzekleines bisschen leichter, mich mit meiner Mittelmäßigkeit anzufreunden.
Ich habe mich im letzten Jahr viel mit dem Thema „Adultismus“ beschäftigt, ich hab sogar hier und da was zum Thema geschrieben und/oder vorgelesen, das hier jetzt alles zu wiederholen und warum ich das so wichtig finde, würde den Rahmen sprengen. Aber ganz kurz zur Einordnung: Adultismus bezeichnet die strukturelle, institutionelle und kulturelle Benachteiligung von Kindern durch Erwachsene. Kurz: Erwachsene glauben, sie seien besser als Kinder und deshalb dürften sie auch ohne deren Einwilligung erzieherisch auf sie einwirken. Das ist quasi überall der Fall und von so ziemlich allen akzeptiert.
Ich finde es auch deshalb so interessant und wichtig, weil man annehmen kann, dass Adultismus die einzige Diskriminierungsform ist, von der jeder Mensch betroffen ist. Erst als Kind und Opfer, später als erwachsener Täter. Und dass man eben schon als Kind hier und auf diese Weise den Mechanismus von Diskriminierung lernt: Es gibt Mächtige und Ohnmächtige und die Mächtigen bestimmen über die Ohnmächtigen. Und ein Kind, das das so gelernt hat, wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Gelernte reproduzieren. Es wird, sobald es sich in einer Machtposition befindet, andere (kleinere, schwächere) Kinder so behandeln, wie es selbst von Erwachsenen behandelt wurde.
Ich glaube nicht, dass das „die Natur des Menschen“ ist, sondern gelerntes Verhalten. Wir müssen unser Verhältnis zur Macht und Kindern gegenüber überprüfen und verändern. Das ist sauschwierig, I know, weil ich es seit gut einem Jahr versuche und ständig stolpere und scheitere. Denn eben: Es ist weit verbreitet, komplett akzeptiert, institutionell gestützt und ich selbst wurde ja erzieherisch in diesem Sinne (und längst nicht nur von meinen Eltern) geformt. Es kann erstmal nur darum gehen, wahrzunehmen und hier und da aufzubrechen. Da bin ich wieder bei der Mittelmäßigkeit. Ich will an dieser Stelle zufrieden mit mir sein, auch wenn ich ständig scheitere. Es geht darum, zu probieren. Die eigenen Fehler zu bemerken, zuzugeben, zur Sprache zu bringen.
Ah, eigentlich wollte ich doch übers Theater schreiben. Über Kultur und ihren Adultismus. Ich hab das neulich für den SPIEGEL in Bezug auf Kinderbücher getan, jetzt sollte es um Theater gehen und ich hab schon über die Hälfte meines Platzes verpulvert. Also, ähm, geht es dann halt gleich – im nächsten Teil – um meine beiden letzten Theaterbesuche.
Finn-Ole Heinrich
wurde 1982 geboren und wuchs in Cuxhaven auf. Bevor er in Hannover Filmregie studierte, absolvierte er seinen Zivildienst in Hamburg und las in dieser Zeit einem Mann neun Monate lang Tag für Tag die Zeitung vor. Als Autor debütierte Heinrich mit dem Erzählband die taschen voll wasser (2005). Frerk, du Zwerg! (2011) war Heinrichs erster Kinderroman, auf den unter anderem die Trilogie Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt (2013–2014) folgte. Zuletzt erschien Bosco Rübe rast durchs Jahr (2022) von Finn-Ole Heinrich und Dita Zipfel. Heinrich wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Kranichsteiner Literaturförderpreis (2008), dem Deutschen Jugendliteraturpreis (2012), dem Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis (2014) und dem LUCHS von der ZEIT und Radio Bremen. Für seine Arbeit als Drehbuchautor wurde er 2018 mit dem Thomas-Strittmatter-Preis ausgezeichnet. Er lebt als freier Autor in Hamburg und Südfrankreich. Im Juli ist er zu Gast beim Kinderlesefestival Galaxie der Bücher in Bremen.
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