Mond hinter Baum
© Rike Oehlerking

Die #Nacht und ihre Abwesenheit I

Nacht ist, wenn der Ort, an dem wir uns befinden, auf der Kugel, auf der wir leben, gerade von dem Stern, der unser Sonnensystem begründet, abgewandt ist. Irgendwo ist immer Nacht. Und irgendwo immer Tag. Dazwischen ist Dämmerung. Wenn wir nachts in den Himmel blicken, sehen wir fremde Sonnen, unsere eigene aber nicht. Dafür sehen wir Himmelskörper, die von unserer Sonne angeleuchtet werden. Planeten, Satelliten, unseren Mond.


In einem Comicstrip des 2021 verstorbenen Zeichners Martin Perscheid gerät ein Mann in die Fänge eines Vampirs. Sie befinden sich in einer Burg, es ist Nacht, der Mond scheint hell durchs Fenster. Der Vampir hat den Mann bereits am Schlafittchen, da sagt der: „Der Mond leuchtet nicht von selbst, er reflektiert das Sonnenlicht.“ Der Vampir stutzt, dann zerfällt er nach alter Vampirtradition zu Staub. Untertitelt ist das Werk mit den Worten: Wissen kann Leben retten.

Der Vampir braucht die Nacht, und bis auf ein paar Grottenolme und Tiefseekreaturen, die ihr Dasein in konstanter Dunkelheit fristen, brauchen die meisten Lebewesen den Wechsel von Tag und Nacht. Wir verändern uns in der Nacht. Die Zirbeldrüse dreht auf, schüttet Melantonin aus und wir fahren runter in einen Minimalmodus, den Schlaf. Ein merkwürdiger, ein wunderbarer Zustand, körperlich inaktiv, aber durchsetzt von mentalen Bildern und Geschichten, die wir meistens schon wieder vergessen haben, wenn die Erde sich wieder so weit gedreht hat, dass für uns morgens die Sonne aufgeht.


Allein, es gibt keine Nacht mehr. Vor rund zweihundert Jahren begann man damit, die Straßen der Städte systematisch zu beleuchten, erst mit Gas, denn elektrisch. Seitdem rollt ein Licht-Tsunami um die Welt. Die urbane Nacht ist so anziehend, weil ihre Dunkelheit durchbrochen wird von Licht in allen Farben. Licht, das blinkt und glitzert, Licht, das sich im Wasser spiegelt. Satellitenbilder der Erde, man kann sie sich aufs Handy holen und die Kugel drehen und Gebiete heran zoomen, zeigen die Nachtseite übersät von funkelnden Punkten und Flächen.

Weiterlesen:

Satzwende: Ulrike Sterblich (2/2)

Sind das jetzt die Sterne - oder die Lichter der Großstadt? Ist doch klar!? Ulrike Sterblich erzählt im zweiten Teil ihrer Kolumne Satzwende davon, wie wir und die Tiere trotzdem von den hellen Lichtern in die Irre geführt werden.

weiterlesen
Satzwende: Ulrike Sterblich (2/2)

Are these the stars - or the lights of the city? Obviously!? In the second part of her Satzwende column, Ulrike Sterblich writes about how we and the animals are misled by the bright lights.

weiterlesen
Ulrike Sterblich
© Rike Oehlerking

 

Ulrike Sterblich

lebt in ihrer Heimatstadt Berlin, wo sie als Gastgeberin der Talk- und Lesebühne Berlin Bunny Lectures bekannt wurde. 2012 erschien ihr erfolgreiches Mauerstadt-Memoir Die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt. 2021 veröffentlichte Ulrike Sterblich ihr vielbeachtetes literarisches Debüt The German Girl. Mit Drifter wurde die Politologin und Autorin aus Berlin für den Deutschen Buchpreis 2023 nominiert. Mysteriös und wunderbar fantastisch erzählt Ulrike Sterblich in ihrem Roman die Geschichte von Wenzel und Killer: Alles ändert sich, als Vica in ihr Leben tritt: eine Frau in goldenem Kleid, meist begleitet von zwei treuen Adjutanten und einem riesigen Zottelhund. Bei jeder Begegnung mit Vica ploppen neue Fragen auf. Sie kennt unerklärliche Geheimnisse und ihr Einfluss bringt Unruhe in die Welt der Freunde. Als Vica schließlich auch noch den Wohnblock ihrer Kindheit in Beschlag nimmt, gerät die Welt von Wenzel und Killer ins Wanken.

Weiterlesen: