Tatjana Vogel & Daniel Schmidt: Das neue globale°-Tandem

Das Literaturfestival globale° findet in diesem Jahr vom 28. Oktober bis zum 03. November statt. Organisiert haben es Tatjana Vogel und Daniel Schmidt, die die Leitung von Libuše Černá übernommen haben. Im Interview sprechen sie über große Fußstapfen, die Lust auf Vernetzung und vielseitige literarische Stimmen.

Tatjana Vogel hält ein Mikrophon in der Hand.
© Matej Meza
Porträt von Daniel Schmidt
© Marc Stavros

In diesem Jahr habt ihr die Leitung der globale° übernommen. Mögt ihr euch den Leser*innen, die euch nicht kennen, kurz vorstellen?

Daniel: Mein Name ist Daniel Schmidt, ich bin seit 2018 bei der globale°, habe in Bremen Germanistik und Transnationale Literaturwissenschaft studiert und neben der globale° bin ich im Literaturkollektiv Kollit.

Tatjana: Mein Name ist Tatjana Vogel, ich habe 2017 auch als Praktikantin bei der globale° angefangen und in Bremen Kulturwissenschaft und Germanistik studiert. Nach einem kleinen Ausflug nach Berlin, wo ich einen Master abgebrochen und zwei Jahre in der Literaturagentur Graf & Graf gearbeitet habe, bin ich seit diesem Jahr wieder in Bremen. Neben der globale° arbeite ich im Buchladen Ostertor.

Ihr steigt jetzt in die Fußstapfen von Libuše Černá. Mit welchen Gefühlen habt ihr die Festivalleitung übernommen?

Tatjana: Vor allem mit viel Dankbarkeit und Ehrfurcht. Mir ist sehr bewusst, dass es nicht viele 30-Jährige gibt, die so eine Chance bekommen. Die Fußstapfen müssen wir jetzt erstmal füllen. Zum Glück müssen wir das nicht zu zweit machen, sondern sind Teil eines fantastischen Teams!

Daniel: Vor allem mit dem Respekt vor der langjährigen Arbeit und Hingabe, mit der Libuše und andere Menschen das Festival geprägt haben. Das möchten wir gerne weiterführen. Dabei ist es natürlich wichtig, zu betonen, dass Libuše ein unverzichtbarer Teil des Festivals bleibt und ihre Erfahrung und ihr Netzwerk weiterhin einbringt. 

Was ist euer jeweiliger Schwerpunkt in der Festivalorganisation? Daniel, du hast ja einen Fokus auf der Kooperation mit der Uni, richtig? Erzähl doch mal!

Daniel: Genau, ich habe einen Fokus auf die wissenschaftlichen Kooperationen. Das sieht zum Beispiel so aus, dass ich mich für das Projekt Polyphonie vernatwortlich zeichne, das seit 2022 an die globale° angegliedert ist. Darin beschäftigen wir uns mit Mehrsprachigkeit und Literaturfestivals. (Siehe die Veranstaltung Voix & Versi am 01.11.) Außerdem kümmere ich mich zusammen mit Libuše um internationale Kooperationen, so zum Beispiel den Austausch mit dem Zentrum Gedankendach in Czernowitz (Ukraine).

Und was interessiert dich im Festivalkontext besonders, Tatjana?

Tatjana: Meine Leidenschaft für das Festival entspringt der Schnittstelle von Literatur und Gesellschaft: Texten und Autor*innen Raum zu geben, die gleichzeitig auch immer zu einer Öffnung und Erweiterung des Diskurses beitragen. Für mich ist die globale° ein Festival mit dezidiert politischem Anspruch. Gleichzeitig brenne ich für die Vielseitigkeit der literarischen Stimmen in unserem Programm.

Die globale° ist als Festival für grenzüberschreitende Literatur an den Start gegangen, inzwischen blickt ihr im Programm aber auch immer mal wieder über den Tellerrand: In Veranstaltungen mit Selma Kay Matter oder Katja Reider habt ihr dieses Jahr auch Autor*innen zu Gast, die den transnationalen Anteil nicht mitbringen. In welche Richtung wollt ihr das Festival in Zukunft entwickeln?

Tatjana: Der Festivalkern bleibt erhalten. Es ist bei der globale° schon immer so, dass die Idee der "Grenzüberschreitung" auch weiter ausgelegt werden kann: Selma Kay Matter schreibt über die Grenzen normierter Körperlichkeit hinweg, Katja Reider vermittelt Kindern Gedanken zur Demokratie. Das sind widerständige und grenzüberschreitende Texte im besten Sinne. 

Daniel: Der Begriff "grenzüberschreitend" ändert und entwickelt sich auch mit aktuellen Debatten. Im Moment sind Ost/West-Debatten wichtig in der Diskussion und der Literatur. Das spiegelt sich zum Beispiel mit Domenico Müllensiefen und dem Werk "Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat" in unserem Programm. 

Durch die Bewerbung um den Titel City of Literature und den Titelerhalt ist die Vernetzung mit anderen Cities of Literatures ebenfalls zum Bestandteil des Festivals und eurer Arbeit geworden, was ja total naheliegt. Wie sieht in diesem Jahr die Zusammenarbeit mit Netzwerkpartner*innen aus?

Daniel: Dieses Jahr haben wir am Wochenende vor der globale° wieder Vertreter*innen von verschiedenen Cities of Literature in Bremen zu Gast. Die globale° kümmert sich wie im letzten Jahr um die Organisation, Betreuung und Durchführung eines Rahmenprogramms für die Teilnehmenden: In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt auf Comics. Dazu wird es eine Podiumsdiskussion und Ausstellung im Zentrum für Kunst geben.

Habt ihr schon Ideen, wie das in Zukunft weitergehen soll?

Tatjana: Wie du schon sagst: Die Verbindung zwischen der globale° und dem Netzwerk liegt total Nahe. Deswegen wollen wir die Kontakte und dieses Netzwerk für Bremen weiter stärken und ausbauen. Wir wünschen uns, dass die Bremer Literaturszene eine spannende Ergänzung zu diesem Netzwerk bleibt und sich stark einbringt. Diese Aufgabe wird tatsächlich bei Libuše bleiben. Sie betreute die Bewerbung von Anfang an mit und ist bekanntlich eine Meisterin des Netzwerkens. 

Das Festival steht dieses Jahr unter dem Motto „Trotz dieser Welt“. Welcher Gedanke steht dahinter?

Daniel: Das Motto war in diesem Jahr das erste, was feststand. Wir alle spüren die multiplen Krisen um uns herum. Als Libuše Černá also zur Sitzung im Frühjahr das Gedicht Glaube an die Welt von Fontane mitbrachte, aus dem das Motto stammt, waren wir uns schnell einig: Die diesjährige globale° wird trotz dieser Welt stattfinden, in der Hoffnung, Mut zu machen, zum Austausch anzuregen und sich angesichts der vielen Bedrohungen nicht ins Private zurückzuziehen. 

Warum findet ihr es wichtig, sich trotz allem mit Literatur zu beschäftigen?

Tatjana: Wir alle leben zunehmend in unseren eigenen Echokammern. Literatur und insbesondere die zur globale° eingeladenen Texte eröffnen uns Perspektiven, die - das glaube ich wirklich - in dieser Form und Vielfalt nur durch Literatur gewonnen werden können. Die Autor*innen teilen ihre Welten mit uns, erzählen Geschichten, in denen sich verschiedenste Realitäten öffnen, die wir dann mit unserer und gegeneinander abgleichen können. Das ist eine Chance, von der wir hoffen, dass sie viele ergreifen. Literatur lässt den eigenen Blickwinkel beweglich bleiben, zeigt uns Alternativen und setzt unser eigenes Leben in den Kontext.

 

Auf welche Veranstaltungen im Rahmen der globale° freut ihr euch in diesem Jahr besonders?

Beide: Alle! 

Tatjana: Ich freue mich sehr auf das Gespräch von Lütfiye Güzel und Akın Emanuel Şipal. Es geht um die tolle Novelle Oh, no!, die Lütfiye Güzel in ihrem eigenen Verlag veröffentlicht hat, sicher aber auch um Lyrik, das Schreiben als Solches und witzig wird es bestimmt auch. Ein Geheimtipp! 

Daniel: Wir freuen uns extrem, dass wir in diesem Jahr Igiaba Scego gewinnen konnten, eine italienische Autorin of Colour, die maßgeblich den post-kolonialen Diskurs in der italienischen Literatur und Kultur voran treibt! Sie war im Rahmen der Buchmesse in Deutschland und hängt nun noch einen Besuch in Bremen dran.

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