Satzwende: Katja Oskamp (2/2)

© Rike Oehlerking

Die Lust am Lustverlust 2

Von Katja Oskamp

Schnurranda Pummelich stand am Fenster und dachte über den Lustverlust nach. Den Liebesnächten hatte zuletzt etwas Panisches angehangen. Die Lust war dagewesen, doch wie ein fetter Straußenvogel über die Wiese gerannt. Einen Flug hatte Schnurranda nicht erzwingen können. Das verstörte sie, es machte sie traurig. 

Da fiel Schnurrandas Blick auf ein Liebespaar, das eng umschlungen auf der Straße stand. Sie erfreute sich daran, wollte die beiden sogar anfeuern, doch keinesfalls mit ihnen tauschen. Nein, da war kein Neid. Schnurranda war im Leben nicht zu kurz gekommen. Ein paar der ganz frühen Hüpfereien hätte sie sich sogar schenken können, denn sie war, was sie erst später herausgefunden hatte, gar nicht aus blanker Lust in einem Bett gelandet, sondern bloß, weil sie nicht hatte allein sein wollen. 

Das Alleinsein beherrschte Schnurranda seit Längerem gut, inzwischen fast ein bisschen zu gut. Da musste man aufpassen. Kurz erwog Schnurranda, sich im Sinne einer Alters-WG den Bremer Stadtmusikanten anzuschließen, Esel, Hund und Hahn. Ausgerechnet der Hahn schreckte sie ab, die Vorstellung, wie seine Füße sich in ihr Nackenfell krallten. Keine Vögel mehr, dachte Schnurranda Pummelich; es war an der Zeit, die Tierart zu wechseln. Vielleicht hießen die Wechseljahre ja deshalb so.

 


Zuerst fiel ihr der Mull ein. Sie hatte Lust, mit dem Mull in der Eckkneipe Bier zu trinken, ein tiefes Gespräch zu führen, Tränen zu vergießen, dann wieder zu lachen. Oder in dem Schaukelstuhl zu schaukeln, den der Mull für sie vor sein Häuschen schob. Als nächstes fiel ihr die Eichkatze ein. Sie hatte Lust, sich mit der Eichkatze auf dem Teppich zu kugeln, denn die Eichkatze beherrschte tolle Turnübungen und kannte außerdem sensationelle Theorien über hormonelle Schwankungen, denen Schnurranda hingerissen lauschte. Schnurrandas liebster Gefährte aber war der kleine Hund.

Manchmal lümmelten sie stundenlang in den warmen Kissen, schauten DEFA TV und verdrückten dabei Schokolade und andere ungesunde Sachen. Der kleine Hund erlaubte Schnurranda, wenn sie traurig war, sich unter sein Schlappohr zu verkriechen – soweit sie eben darunter passte – und hatte extra für sie eine superlustige Tiersprache erfunden, die ohne SCH auskam. Mit dem kleinen Hund kuschelnd und blödelnd die Tage zu vertrödeln, das war es, wozu Schnurranda Pummelich, wenn sie ganz ehrlich war, am meisten Lust hatte. 


Möglicherweise würde ihr nächstes Buch von infantilen Tierspielen im Alter handeln, aber wer wusste das schon. Die Kolumne überschrieb sie mit Die Lust am Lustverlust. Das war zwar ein Paradoxon, aber es klang gut, und irgendwie musste es ja weitergehen.

Katja Oskamp
© Rike Oehlerking

Katja Oskamp

wurde 1970 in Leipzig geboren und ist in Berlin aufgewachsen. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft arbeitete sie als Dramaturgin am Volkstheater Rostock und studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2004 veröffentlichte sie als Debüt ihren Erzählungsband Halbschwimmer, es folgten die Romane Die Staubfängerin und Hellersdorfer Perle. 2019 erschien bei Hanser Berlin Marzahn, mon amour. Für die englische Ausgabe des Bestseller-Romans erhielt Oskamp 2023 zusammen mit der Übersetzerin den Dublin Literary Award, den höchst dotierten europäischen Literaturpreis, der für ein einzelnes Werk vergeben wird. 

Zum Autor*innenprofil von Katja Oskamp

Katja Oskamp liest im Rahmen der Lesereihe Satzwende am 20. März in der Bremer Shakespeare Company.

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