Bremen steckt voller Geschichte(n). Viele davon schlummern im Zentrum – in Mauern, Mahnmalen, Straßen. An den meisten eile ich im Alltag bloß vorbei. Am Skulpturen-Ensemble Hirt mit Schweinen in der Sögestraße zum Beispiel. Oder am Lichtbringer am Eingang der Böttcherstraße. Mein Alltag ist geprägt von Hektik. Von Arbeit, schnellen A-nach-B-Läufen. Heute mache ich das anders. Es ist ein warmer Herbsttag im Oktober, das gute Wetter spült Menschen in die Cafés am Rathausplatz. Ich bleibe stehen. Ich schaue zu. Und lausche.
Dazu bewegt hat mich ein Projekt vom Bremer Literaturkontor und dem Kammerensemble Konsonanz. Es heißt LauschOrte – und verteilt sich über sieben geschichtsträchtige Orte in der Innenstadt. Man kann dort die Geschichten der Orte über das eigene Smartphone hören, zwischen zwei und acht Minuten lang, geschrieben von Bremer Literat*innen, untermalt mit passender Musik. Mich zieht es zu den Bremer Stadtmusikanten. Der QR-Code hängt direkt neben der Statue von Gerhard Marcks, an den Mauern des Bremer Rathauses. Einmal gescannt, geht das Spektakel für die Ohren und Augen los.
Die Sonne scheint den Bremer Stadtmusikanten auf den Pelz. Oder besser: Auf die bronzenen Rücken. Denn einen richtigen Pelz haben die Vier natürlich nicht. In meinem Kopf haben sie das schon. Da beginnt die Fantasie zu blühen. Dafür sorgt die Stimme von Schriftsteller Bas Böttcher, der die Geschichte des tierischen Freundverbunds poetisch-klug und mit den Klängen des Streichorchesters verflochten erzählt.
„Nach hartem Lebenseinsatz ein bisschen kaputt, gealtert und schlaff, dann verstoßen vom Herren plötzlich unverschuldet, dem Tod geweiht, schlicht nicht mehr geduldet“ fliehen sie nach Bremen, um hier ein neues Leben zu beginnen.
04:21 Minuten dauert die Reise – sie kommt mir aber viel länger vor. Den „Lauschort“ zu besuchen ist wie Kino, Konzert und Buch in einem; ein Rundumerlebnis an der frischen Luft; eine Einladung, die Stadt und ihre Geschichte(n) durch die Augen und Ohren Bremer Literat*innen und Musiker*innen zu erleben – und bei all der Hektik des Alltags ab und zu mal wieder stehenzubleiben, sich umzuschauen und zu merken: Hier spielt die Musik.
Alle sieben Lauschorte gibt es auf lauschorte.de zu hören – bei Regenwetter auch bequem von zu Hause aus.
Imke Wrage
schreibt auf ihrem Instagram-Account @pageflow über zeitgenössische Literatur. Sie hat Journalistik, Kommunikation und deutsche und tschechische Literatur in Bremen, Hamburg und Prag studiert. Nach einem Abstecher bei der Kreativagentur artundweise arbeitet sie als freie Texterin und Journalistin in Bremen. Das journalistische Handwerk hat sie u.a. beim WESER-KURIER, beim Tagesspiegel und bei der FAZ gelernt. Themen, die sie umtreiben: Feminismus, Diversität, Psychologie, soziale Ungerechtigkeit. Was sie ohne Bücher wäre? Um es mit Erich Fried zu sagen: Vielleicht nicht nichts ohne sie, aber nicht mehr viel.
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