Sechs Wochen Verwandtenbesuch in Kalifornien, einer meiner Wege dort führte mich zu einer Buchhandlung. Ich blieb vor dem Schaufenster stehen. Das Tagebuch der Anne Frank und Huxleys Schöne neue Welt lagen in der Auslage, verbunden mit dem Hinweis: Diese Bücher sind verboten.
Ein paar Tage später ging ich nochmal in die Buchhandlung und fragte nach, was es damit auf sich habe. In vielen Schulen und Bibliotheken des mittleren Westens und Südens der USA, erfahre ich, dürfen die forbidden books in Bibliotheken nicht geführt werden. Auch Bücher von Nobelpreisträger*innen gehören dazu. Wie passt das zum Demokratieverständnis der Vereinigten Staaten?
Die Buchhändlerin erklärt mir, dass in Staaten, die diese Bücher verbieten, die Meinung vertreten wird, Bücher wie das Tagebuch der Anne Frank, die Willkür und Schrecken schildern, würden Jugendliche zu sehr belasten. Organisationen, aber auch Privatpersonen können fordern, dass solche Bücher, Bücher mit sexuellen Inhalten oder zu queeren Lebenswelten aus dem Bestand genommen werden. Das passiert vor allem in den Südstaaten und im mittleren Westen der USA. Man kann diese Bücher noch kaufen, aber nicht mehr ausleihen.
Sie selbst ist überzeugt davon, dass das falsch ist. Ich recherchiere beim Amerikanischen Pen. Gebannt werden vor allem Bücher mit LGBTQ+- und BIPoC-Protagonist*innen sowie Bücher, die sich mit Rassismus beschäftigen oder sexuell aufklären. Das am meisten verbotene Buch Amerikas ist der autobiografische Comic Gender Queen von Maia Kobane. Zu den verbotenen Büchern gehören aber auch so bekannte Bücher wie John Steinbecks Jenseits von Eden, die Biografie von Malcolm X oder Werke von Margaret Atwood, wie Der Report der Magd.
Laut einer Erhebung der American Library Association, einer Non-Profit-Organisation zur Förderung von Bibliotheken weltweit, kam es im Jahr 2023 in den Vereinigten Staaten zu einem massiven Anstieg an Zensurversuchen. Verglichen mit dem Vorjahr stieg die Anzahl angegriffener Buchtitel um 92 Prozent. Mit Erfolg: Laut Zählungen von PEN America wurden allein im Gliedstaat Florida 1406 Bücher aus den Regalen von öffentlichen Bibliotheken und aus Lehrplänen von Schulen entfernt. Es handelt sich nicht nur um Schul-, sondern auch um öffentliche Bibliotheken und Universitäten. Besonders Leser*innen mit schmalem Budget werden so Anstöße für kritisches Denken vorenthalten. In den meisten Fällen gehen die aktuellen Anfechtungen von Büchern nicht von besorgten Eltern aus, die individuell handeln, sondern von politischen Gruppen und Interessengruppen
In Amerika stammen die meisten Zensurversuche aus der republikanischen Ecke. Von den 153 Schulkreisen, die im Jahr 2023 Kinder- und Jugendbücher aus ihren Bibliotheken entfernten, liegen 103 in Gliedstaaten, die bei den Wahlen 2020 Republikaner*innen gewählt haben. Die Zahl der so gebannten Bücher steigt. Damit werden Zugänge zu Informationen, Kultur und Geschichte blockiert. Es entsteht bei Lehrer*innen, Bibliothekar*innen und Verwaltungsangestelten ein Klima der Vorsicht. Nach Einschätzung des Pen Amerika scheuen sie sich zunehmend Risiken einzugehen, die ihren Ruf oder sogar ihre eigene Sicherheit beeinträchtigen könnten.
Laut eines Artikels der Neuen Züricher Zeitung nehmen nicht alle Jugendlichen das Verbot der Bücher hin. In Amerika bilden sich Clubs, in denen Jugendliche die Werke lesen, von denen sie ferngehalten werden sollen.
Ulrike Kleinert
wurde 1955 in Delmenhorst geboren. Sie hat in Bremen und Kiel Sozialpädagogik studiert und war in Bremen über Jahrzehnte als Leiterin von Kitas tätig. Erste Veröffentlichungen von ihr gab es den Siebziger Jahren u.a. beim Fischer Verlag. Ihre Gedichte und Kurzgeschichten sind in zahlreichen Anthologien und Literaturzeitschriften vertreten. Ihr dritter Band mit Kurzgeschichten ist 2021 beim Kellner Verlag, Bremen, erschienen. Sie arbeitet an einem Roman. Ihre Leidenschaft gilt Poesie-Projekten mit Kindergartenkindern.
Zum Autorinnenprofil von Ulrike Kleinert