Lesetipp: Silke Behl empfiehlt

Was wäre, wenn wir die Geschichte der Menschheit einmal anders in den Blick nähmen? Wir müssten einige Gewissheiten über Bord werfen. Genau das tun David Graeber und David Wengrow, indem sie vermeintlichen Randzonen der historischen Entwicklung ihre Aufmerksamkeit widmen.

Cover Anfänge

Auf fast 700 Seiten präsentieren die Autoren eine Fülle von Beispielen, die rund um den Globus führen. Sie berichten von Ritualen, die seit dem Neolithikum existierten und dazu dienten, soziale Ordnungen neu zu denken, durchzuspielen und anzupassen. Sie erzählen von Gesellschaften, in denen es weder arm noch reich gab und Frauen selbstverständlich gleiche Rechte genossen. Sie überraschen mit der Erkenntnis, dass die Innovation in neolithischen Gesellschaften auf dem von Frauen angesammelten Wissensschatz beruhte. Auf Entdeckungen, die ähnliche Effekte hatten wie die technischen Erfindungen der Neuzeit.

Die Versuchsanordnung ist dabei weniger der Vergangenheit als der Gegenwart verpflichtet. Im Zentrum steht die Frage, warum es uns heute so schwerfällt, eine alternative Wirtschafts- und Sozialordnung auch nur für denkbar zu halten. Graeber und Wengrow liefern keine Antworten, vieles bleibt Spekulation. Die Stärke ihres Buches liegt vielmehr darin, unsere Neugier auf ein Gedankenexperiment zu wecken. Lesenswert!

ANFÄNGE. EINE NEUE GESCHICHTE DER MENSCHHEIT | David Graeber & David Wengrow | Übersetzung: Helmut Dierlamm, Henning Dedekind & Andreas Thomsen | SACHBUCH Klett-Cotta | Stuttgart 2022 | 667 S. | € 28,00


Silke Behl

ist Journalistin, Autorin und Moderatorin. Sie war lange Jahre in der Kulturredaktion von Radio Bremen tätig und ist außerdem im Vorstand des Literaturhaus Bremen.

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Foto von Dr. Silke Behl
© Carmen Simon Fernandez

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