„Felder purpurroten Mohns blühen ringsum, der Mittagswind spielt im reifenden Roggen, jungfräulicher Buchweizen steht auf am Horizont, wie die Mauer eines fernen Klosters. Das stille Wolhynien windet sich, Wolhynien verschwindet vor uns in den perlgrauen Nebel der Birkenwälder, es kriecht die blumenbestandenen Anhöhen hinauf und verfängt sich mit geschwächten Armen in den Hopfenreben. Die orangefarbene Sonne rollt über den Himmel, wie ein abgehackter Kopf, zärtliches Licht entbrennt an den Wolkenschluchten, und die Standarten des Sonnenunterganges wehen über unseren Köpfen. Der Geruch von gestrigem Blut und getöteten Pferden tropft in die Abendkühle. Schwarz rauscht der Zbruč und schürzt die schäumenden Knoten seiner Untiefen. Die Brücken sind zerstört, wir überschreiten den Fluß an einer Furt.”
Isaak Babel: Die Reiterarmee
Ich erinnere mich, wie ich durch die majestätischen Straßen Moskaus wanderte und dieses Buch immer wieder las. Ich erinnere mich, wie ich mit Tränen in den Augen an weit entfernte Orte, weg von Russland, flog und dieses Buch in den Händen hielt, um das Gefühl von Heimat zwischen den schwarzen Linien zu bewahren. Ich erinnere mich, dass ich mich am 24. Februar 2022 mit absolut stillen Gedanken wieder an Die Reiterarmee von Isaak Babel wandte.
Viele kennen die moralisierenden Schriften von Fjodor Dostojewski. Viele kennen die wortreichen Werke von Leo Tolstoi. Aber nur wenige kennen oder erinnern sich heute an Isaak Babel. In Russland gibt es kein einziges Denkmal für diesen Schriftsteller. Er scheint in Vergessenheit geraten zu sein, so wie man alle unterdrückten Autor*innen und Schöpfer*innen vergisst. Aber es ist wichtig, sich daran zu erinnern!
Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, was ein Krieg wirklich ist. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Töten von Menschen nicht romantisch ist. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass es im Krieg nicht darauf ankommt, wer gewinnt und wer verliert. Denn im Krieg geht es nicht darum, um den nächsten Goldmedaillengewinn zu kämpfen. Denn im Krieg geht es vor allem um den Tod.
Isaak Babels Reiterarmee vermittelt Seite für Seite die brutale Routine der Kriegsführung. Es ist das Tagebuch eines brillanten Schriftstellers, der durch Zufall in das Epizentrum des Krieges gerät und das von der Dringlichkeit der Zeit geprägt ist.
DIE REITERARMEE | Isaak Babel | Übersetzung: Peter Urban | ROMAN Friedenauer Presse | Berlin 2018 | 317 S. | €20,00
Elizaveta Vasileva
wurde 1997 in Sankt Petersburg geboren. Sie studierte Kunstgeschichte und Fotografie in Wien. Seit 2020 studiert sie in Bremen Freie Kunst an der Hochschule für Künste, zur Zeit in der Klasse von Asli Serbest. 2021 war sie an der Gruppenausstellung Distance matters – coming together to stay apart auf dem Open Space Domshof beteiligt.