Literarischer Landgang
heißt das Reisestipendium, das das Literaturhaus Oldenburg jährlich seit 2015 vergibt. Auf ihren Expeditionen durch das Oldenburger Land treffen die Stipendiat*innen auf urbane und ländliche Räume, auf Natur und Kultur - von der Nordseeinsel Wangerooge bis zur Weser führen die Landgänge. Die Beobachtungen von unterwegs werden zu einem Text verdichtet.
Die bisherigen Stipendiat*innen waren Matthias Politycki, Marion Poschmann, Michael Kumpfmüller, Mirko Bonné und Judith Hermann. 2020 ging das Stipendium an Schriftsteller Jan Brandt, 2021 wird Iris Wolff auf Literarischen Landgang gehen. Im Wallstein Verlag erschien im Mai die literarischen Reflexionen der ersten fünf Stipendiat*innen in einer Anthologie.
Hier geht es zu einem Landgang-Text von Mirko Bonné
Im Gespräch mit Heike Müller erzählt Monika Eden, Leiterin des Literaturhauses Oldenburg, von den bisherigen Literarischen Landgängen und der Idee hinter dem Projekt.
Nach dem virtuellen Stadtschreiber-Stipendium aus der Ferne folgte vor sechs Jahren der erste Literarische Landgang unmittelbar vor Ort. Warum setzt das Literaturhaus Oldenburg mit der Vergabe von Reisestipendien an Schriftsteller*innen wieder stärker auf die regionale Begegnung mit seinem literaturinteressierten Publikum?
Das BLogbuch OLdenburg bezog sich nur auf die Stadt Oldenburg. Der Literarische Landgang bespielt den Nordwesten Niedersachsens. Das ist unser Wirkungsraum, denn das Publikum reist aus einem großen Radius zu unseren Veranstaltungen an. Bei der Landgang-Lesereise kürzen wir seine Wege ab und gehen mit den neu entstandenen Texten hinaus in die Region. Die Lesungen finden an den Orten statt, die unsere Stipendiat*innen zuvor erkundeten. So erhalten die Besucher*innen einen neuen, durch Literatur gespiegelten Blick auf vermeintlich Vertrautes.
Mit Mirko Bonné, Judith Hermann, Michael Kumpfmüller, Matthias Politycki und Marion Poschmann waren bisher bedeutende Literat*innen für das Stipendium nominiert. So war jeder Literarische Landgang sicher eine sehr neue, unerwartete Reise durch das Oldenburger Land. Wie können wir uns den Ablauf der Expedition vorstellen?
Ich gebe die Abfolge der Stationen vor. Meine Partner*innen in der Region buchen nach diesem Plan die Hotelzimmer für die Stipendiat*innen. Und sie stellen ihnen mit einigem Vorlauf touristisches Informationsmaterial zusammen. Die Schriftsteller*innen sollen aber ausdrücklich unternehmen, was ihnen gefällt. Nach der Erkundungstour lassen sie ihre Beobachtungen in einen Text einfließen. Damit sie mobil und unabhängig sind, bieten wir ihnen für die Reisewoche einen Mietwagen an. Marion Poschmann fand es attraktiver, mit ihrem Fahrrad unterwegs zu sein. Die Wahl des Fortbewegungsmittels, das zeigt ihr Reisetagebuch, hatte durchaus Folgen für die literarische Umsetzung: Die Passagen zwischen den Stationen gewannen an Bedeutung, weil sie die Entfernungen körperlich erfuhr und des Reisetempos wegen viel Zeit hatte, den Blick unterwegs in die Landschaften zu richten.
Viele Autor*innen sind weitgereist und welterfahren. Worin liegen die Herausforderungen im Entdecken des vermeintlich Vertrauten, der unspektakulären Provinz?
Matthias Politycki brachte es in einem Gespräch mit mir auf den Punkt: Eine Fahrt von Hamburg ins Oldenburger Land erfordert einen genaueren Blick als eine Reise nach Indien oder Uganda. Wegen der größeren Übereinstimmungen, die man unterstellt. Und Provinz, auch das lernen wir aus seinem Essay, gibt es ohnehin nicht mehr. Sie ist – zumindest im Oldenburger Land – nur auf andere Weise globalisiert als die Metropolen. Auch Marion Poschmann unterscheidet nicht zwischen Metropole und Provinz, wenn sie über Reiseziele nachdenkt. Sie orientiert sich an der Literatur Asiens, die jeder Reise die Ernsthaftigkeit einer Lebensreise beimisst.
Welche unterschiedlichen Verfahren der Annäherung an die Region nutzen die Schriftsteller*innen jeweils auf ihrer Reise? Erwartet uns in der gerade erschienenen Anthologie Fünf Landgänge mehr als ein Reisetagebuch?
Alle machten sich unterwegs Notizen. Mirko Bonné hielt zudem in Fotos fest, was sein Blick einfing. Judith Hermann ließ sich von dem Zeichner Andreas Reiberg begleiten. Verschieden wie die Schriftsteller*innenpersönlichkeiten sind auch die literarischen Formen, die sie für ihre Texte gefunden haben: Matthias Politycki verfasste einen Reiseessay, Marion Poschmann ein Reisetagebuch mit Gedichten. Eine Erzählung schrieb Michael Kumpfmüller, Mirko Bonné ein Reisejournal mit Gedichten. Die Texte Judith Hermanns treten in ihrem Reiselogbuch in einen künstlerischen Dialog mit den Zeichnungen ihres Begleiters.
Worin liegen die großen Möglichkeiten eines Reisestipendiums vor Ort?
Das Landgang-Stipendium ermöglicht es mir, Literaturförderung auf hohem Niveau mit dem Bewusstsein für Regionalität zu verbinden. Vor allem die kleineren beteiligten Städte und Orte profitieren von dem Projekt. Nach Oldenburg kommen die Schriftsteller*innen, die das Stipendium erhielten, ohnehin: zu Lesungen des Literaturhauses. Nach Seefeld, Cloppenburg oder Westerstede aber eher nicht. Und auch Orte wie Jever und Delmenhorst werden durch ihre Texte zum Bestandteil von Gegenwartsliteratur.