Mirko Bonné auf Literarischem Landgang

Sonnenuntergang über Brake
© Heike Müller

Literarischer Landgang

heißt das Reisestipendium, das das Literaturhaus Oldenburg jährlich seit 2015 vergibt. Auf ihren Expeditionen durch das Oldenburger Land treffen die Stipendiat*innen auf urbane und ländliche Räume, auf Natur und Kultur - von der Nordseeinsel Wangerooge bis zur Weser führen die Landgänge. Die Beobachtungen von unterwegs werden zu einem Text verdichtet.

Die bisherigen Stipendiat*innen waren Matthias Politycki, Marion Poschmann, Michael Kumpfmüller, Mirko Bonné und Judith Hermann. 2020 ging das Stipendium an Schriftsteller Jan Brandt. Im Wallstein Verlag erschien im Mai die literarischen Reflexionen der ersten fünf Stipendiat*innen in einer Anthologie.

Mehr über den Literarischen Landgang im Interview mit Monika Eden vom Literaturhaus Oldenburg

Cover Fünf Landgänge

In Brake war das Weite

In Brake war das Weite    zu fühlen. In Brake
hörten die Seemöwen    sich so zeitlos an.
In Brake küsste ich dich    und es war egal,
wo wir waren. In Brake    klingelte unten
am Strom dein Handy und    hast du mit der
Welt telefoniert. In Brake    war das völlig
okay. Ich liebte dich mehr    als alles andere
auf der Welt in Brake.    Und es gab vieles
in Brake, was infrage kam.    Es gab drüben
Harriersand und gab hier    Brake, was hieß,
es gab hier Brake und drüben    Harriersand –
Weite und Stille, für die    Brake stand. Und
die Weser. Und dazwischen    das dünne Land,
zu dem eine Fähre fuhr,    wovon der Kapitän
jedoch abriet. Es sei zu    still dort. Gehen Sie,
gehen Sie lieber weiter,    weiter durch Brake!
In Brake gab es fraglos    das Weite, die See
und Georg von der Vring,    der sich nicht
sicher gewesen war, wie    entscheiden, ob
ein Mensch sein oder    einer, dem gleich
ist, was es heißt,    Mensch zu sein. Schade,
und selber schuld,    aus Ihnen hätte einer
werden können, ein    Dichter, Herr von der
Vring aus Brake,    der später Dylan Thomas
übersetzte. Immerhin    gab es in Brake ja den
Optischen Telegrafen –     – Zeichen, telepor-
tiert über Strom und Land.    Ja, es gab Brake!
Es gab Brake in der Nähe    und im Weiten!
Es gab uns! Dich gab es,    mich, die Musik
des Weiten, ja sogar der    Weser. In Brake
lernte man als Kind Block-  flöte spielen. In
Brake waren alle Block-   flöten Seemöwen.


Mirko Bonné

wurde 1965 in Tegernsee geboren und lebt heute als Schriftsteller und Übersetzer in Hamburg. Sein vielfältiges Oeuvre umfasst neben viel beachteten Romanen Gedichtbände, Erzählungen, Aufsätze und Reisejournale. Für sein Werk wurde er unter anderem mit dem Prix Relay (2008), dem Marie Luise Kaschnitz-Preis (2010) sowie dem Rainer-Malkowski-Preis (2014) ausgezeichnet. Er übersetzte zahlreiche Autor*innen aus dem Englischen und Französischen. In Brake war das Weite entstand 2018, als er im Rahmen des Landgang-Stipendiums des Literaturhaus Oldenburg unterwegs war.

Mirko Bonné schreibt
© Städtische Galerie Delmenhorst

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