Was ist eigentlich am letzten Tag der Menschenrechte passiert, dem 10. Dezember? In den deutschen Nachrichten passierte vor allem Corona. Denn auch wenn die Pandemie leider keine Stopp-Taste bei Menschenrechtsverletzungen ist, scheint sie auf die mediale Wahrnehmung genau so zu wirken. So war die Lage der politischen Gefangenen in Iran nur eine Randbemerkung wert, immerhin, andere Fälle kamen gar nicht vor, und man kann sich fragen: Wann, wenn nicht mal an diesem Tag?
Nun war es zwar auch vor der Pandemie nicht so, dass täglich über die Menschenrechtsverletzungen der Schweizer Firma Glencore berichtet wurde, über Kinderarbeit in Burkina Faso oder Zwangsarbeit bei der Palmöl-Gewinnung. Die Pandemie scheint aber immer weiter unser Interesse an dem einzuschränken, was jenseits der Grenzen liegt. So als ginge uns all das nichts an, was wir nicht mehr als Touristen bereisen können.
Impfdosen, Altenheime, Homeschooling. Nicht, dass diese Themen unwichtig wären, aber wenn es nur noch darum geht, verlieren wir den Blick für die Verhältnismässigkeit und die Welt da draußen. Wenn es uns nicht gelingt, die mentalen Grenzen wieder aufzulösen, müssen wir unsere Empathieverkümmerung zu den anderen Langzeitschäden der Pandemie zählen.
Nora Bossong
wurde 1982 in Bremen geboren. Sie studierte Kulturwissenschaft, Philosophie und Literatur in Berlin, Leipzig und Rom. Für ihre literarischen Arbeiten erhielt sie mehrere Auszeichnungen, so den Peter-Huchel-Preis 2012, den Wolfgang-Weyrauch-Preis 2007 und den Kunstpreis Berlin in der Sparte Literatur 2011. 2014 erhielt sie die Bremer Netzresidenz zusammen mit Nikolas Hoppe und Jens Laloire für das Netzprojekt: Bremen und Kampala – Schreiben im transkulturellen Raum. Heute lebt sie in Berlin.