Eine Krux der Menschenrechte ist, dass sie auf dem Papier oft klarer strahlen als in der Wirklichkeit. Das war übrigens schon bei ihrer Geburt so. Als sie 1789 erstmals in Paris verkündet wurden, galten damit alle Menschen von Geburt an gleich an Rechten. Aber leider waren mit Menschen de facto erstmal nur Männer gemeint. Olympe de Gouges legte eine Erklärung zu den Rechten der Frauen nach. Artikel 1: „Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Mann gleich in allen Rechten.“
Das begeisterte nicht alle im revolutionären Frankreich. Überhaupt zeigte sich die Revolution mit ihren Gleichheitsidealen doch eher als neue Zweiklassengesellschaft, in der die Frau ihren Platz am Herd zugewiesen bekam. Übrigens nicht nur von den Männern: Genügend Frauen sahen de Gouges und ihre Mitstreiterinnen als Bedrohung ihres tradierten Rollenbildes.
Es sind nicht allein Frauen, die der Ausschluss getroffen hat. An ihrem Beispiel zeigte sich aber schon deutlich die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit. Wie etwa lässt sich sonst der schöne Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ damit vereinbaren, dass die Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland bis 1997 straffrei blieb? Papier ist geduldig, und Menschenrechte zählen, aber nicht immer für alle gleichermaßen.
Nora Bossong
wurde 1982 in Bremen geboren. Sie studierte Kulturwissenschaft, Philosophie und Literatur in Berlin, Leipzig und Rom. Für ihre literarischen Arbeiten erhielt sie mehrere Auszeichnungen, so den Peter-Huchel-Preis 2012, den Wolfgang-Weyrauch-Preis 2007 und den Kunstpreis Berlin in der Sparte Literatur 2011. 2014 erhielt sie die Bremer Netzresidenz zusammen mit Nikolas Hoppe und Jens Laloire für das Netzprojekt: Bremen und Kampala – Schreiben im transkulturellen Raum. Heute lebt sie in Berlin.