Liebe Simone, Du arbeitest als Übersetzerin vom Polnischen ins Deutsche. Wie genau kann man sich in deinem Beruf die Arbeitsabläufe vorstellen? Was sind Aspekte deiner Arbeit, die für Außenstehende nicht sichtbar sind?
Das eigentliche Übersetzen braucht viel Vorlauf. Nur ganz selten bin ich in der glücklichen Situation, dass mich jemand mit einem Text beauftragt und ich sofort loslegen kann. Oft trete ich mit Übersetzungsideen an Verlage heran. Das heißt: Ich schaue mir an, welche Bücher in Polen neu erschienen sind (nicht selten heißt das: Ich kaufe sie). Wenn mir eines gefällt und ich denke, dass es ins Deutsche übersetzt werden sollte, kontaktiere ich den polnischen Verlag und frage, ob die Rechte noch frei sind. Dann beginnt die Verlagssuche im deutschsprachigen Raum und meistens parallel eine Finanzierungssuche, da die Übersetzungshonorare selten reichen, um den oft monatelangen Akquiseprozess mitzufinanzieren. Ich fertige eine Übersetzungsprobe an, ein Exposé, manchmal ein ganzes Portfolio,
also eine Art „Bewerbungsmappe“ extra für das Buch – und damit wende ich mich an Verlage. Erst wenn ein Verlag Interesse hat, die Rechte eingekauft sind und ein Vertrag mit mir unterschrieben ist, beginnt die Übersetzungsarbeit, die übrigens wenig spektakulär ist: Ich allein am Schreibtisch mit dem Original und einer leeren Word-Datei, in die der deutsche Text nach und nach hineinwächst. Meine besten Freunde sind dabei digitale Wörterbücher, Textkorpora und Synonymwörterbücher, die mir eine große Hilfe sind, wenn ich mal ein Wort nicht kenne oder mir kein passendes einfällt.
Wie nutzt du selbst KI in deinen Arbeitsprozessen als Übersetzerin (oder Autorin)?
Ich habe einige Versuche mit Übersetzungstools gemacht. Die Sprachrichtung Polnisch-Deutsch hat mich bisher aber noch nicht so überzeugt. Die übersetzten Texte wiesen grobe Fehler auf, wechselten ständig zwischen formeller und informeller Form, die einzelnen Sätze ergaben einfach kein zusammenhängendes Ganzes. Und hinter allem war eines spürbar: eine Art technischer Struktur, eine Art „Kälte“. Eine solche Übersetzung müsste dann immer noch so stark überarbeitet werden, dass ich es bevorzuge, die Texte von Anfang an selbst zu übersetzen.
Als Autorin habe ich es kürzlich zum ersten Mal gewagt, einen literarischen Text mit KI zu kreieren. Das Ergebnis war schockierend gut – zumindest auf den ersten Blick. Bei genauerem Hinsehen habe ich gemerkt, dass der Text aus vielen Floskeln bestand, eine sehr vorhersehbare Struktur hatte und sehr seltsame Fehler enthielt (z. B. ständiger Wechsel zwischen maskulin und feminin). Und vor allem war er sehr plakativ und kitschig. Die Überarbeitung des Textes hat mich dann fast mehr Zeit gekostet, als ihn von Vornherein selbst zu schreiben. Und das Künstliche ließ sich nicht ganz daraus wegretuschieren, es ist noch immer spürbar.
Was macht dir im Hinblick auf die Entwicklung von KI Sorgen? Wie verändert der Einsatz von KI deine Arbeit?
Ich sorge mich in erster Linie um den künftigen Wert meiner Kreativität. Ich fürchte mich vor einem Moment in der Zukunft, wenn ich das Gefühl haben werde: Das Buch, an dem ich jahrelang gearbeitet habe, ließe sich mithilfe von KI innerhalb von wenigen Tagen schaffen.
In Übersetzerkreisen kursieren immer mal wieder Beispiele von Büchern, die von blauäugigen Verlagen mithilfe von KI übersetzt wurden – und wir Übersetzerinnen und Übersetzer erfreuen uns dann an all den Unzulänglichkeiten in diesen KI-Texten. Aber im Hintergrund ist doch eine Angst spürbar: vielleicht nicht davor, dass wir bald wirklich ersetzbar sein könnten; aber eine Angst, dass die Gesellschaft (auch Verlage und Leserinnen und Leser) uns bald als ersetzbar ansehen könnte.
Für meine eigene Übersetzungspraxis denke ich: Wenn die KI bald so gut ist, dass sie auch Wortspiele, Sarkasmus, regionale Spracheigenarten etc. erkennt – dann ist sie als Hilfestellung sicher wunderbar. Aber niemals ohne das aufmerksame Auge einer kompetenten Übersetzerin, die beide Texte intensiv abgleicht, Mängel auffängt und allem eine Tiefe, oder „Wärme“, gibt. Meine Vermutung ist, dass ein Großteil der Übersetzungsarbeit sich vor allem in diese Richtung entwickeln wird – also in Richtung einer Lektoratsarbeit von KI-generierten Übersetzungen.
Inwiefern siehst du die Übersetzungsarbeit auch als Vermittlung von Kultur? Denkst du, KI ist in der Lage, zwischen verschiedenen kulturellen Kontexten zu vermitteln?
Sprache – das ist einer der wichtigsten Faktoren in (inter)kulturellen Begegnungen. Somit auch die Literatur. Und damit ist man schnell bei Übersetzungen, denn ohne sie kann man fremdsprachige Bücher ja meist nicht lesen. Auch für außerliterarische Begegnungen zwischen Kulturen läuft ohne Sprache nichts. Schon seit Jahren können Menschen, die keine gemeinsame Sprache haben, mithilfe von Apps miteinander kommunizieren. Das ist genial und baut Barrieren ab.
Lustigerweise hat KI es gerade erreicht, dass Wysława Szymborska, die polnische Dichterin und Nobelpreisträgerin, international wieder in aller Munde ist. Ein polnischer Sender hat zwei Wochen lang sein Radioprogramm komplett von KI gestalten lassen, darunter war ein Gespräch mit der mittlerweile verstorbenen Autorin. Der Aufschrei in Polen war groß – und es gab weltweit Publicity für die Aktion: In internationalen Medien war Szymborska plötzlich einige Tage lang präsent. Das könnte man sicherlich als ungewollte Kulturpromotion bezeichnen. Und noch dazu als Promotion weiblicher Sichtbarkeit: Ich habe von mehreren meiner Bekannten in Spanien gehört, dass sie vorher gedacht hatten, Szymborska sei ein Mann. Erst durch die Audio-Ausschnitte des polnischen Senders haben sie erkannt, dass es sich um eine Frau handelt.
Wobei stößt KI deiner Meinung nach (noch) an ihre Grenzen?
Im Lesezeichen, das ich für das Literaturmagazin verfassen durfte, wird die Quintessenz der Grenzen und Potentiale von KI aus der Perspektive von fünf Künstlerinnen und Künstlern dargestellt. Sie alle kritisieren, dass die KI ihre Kunst zwar imitieren könne, manchmal sogar nahezu perfekt. Dass aber immer etwas fehle, eine Art „Tiefe“ oder notwendige „Unvollkommenheit“ – in Texten, Fotos, Bildern, Musik. Das ist auch meine Erfahrung in Bezug auf das KI-generierte Schreiben oder Übersetzen.
Siehst du auch ein Potential in KI für unsere Gesellschaft?
Immer wieder höre ich von möglicher Zeitersparnis durch KI: Wir können mit ihrer Hilfe schneller dies, effizienter das. Es ist nicht das erste Mal, dass die Menschheit mit solchen Beschleunigern konfrontiert ist. Es liegt nun an uns, dass wir die gewonnene Zeit auch wirklich nutzen und uns nicht stattdessen in andere Prozesse stürzen, die unser Leben weiter fragmentieren und beschleunigen. Vielleicht hat die allgegenwärtige Angst – oder nennen wir es abwartende Vorsicht –, die in den Medien in Bezug auf KI rauf und runter konjugiert wird, ja auch das Potential, dass wir endlich mal auf uns selbst blicken und uns gemeinsam wichtige Fragen stellen: Was sind eigentlich die „Kernbereiche“ unseres Menschseins? Was macht uns aus? Welche Dinge wollen wir keinesfalls aus der Hand geben? Ich glaube, dieser Blick auf uns selbst ist fundamental wichtig und wird manchmal in den hitzigen Debatten übersehen.
Simone Falk
wurde 1984 in Bremen geboren. Sie studierte Geschichte, Philosophie und deutsch-polnische Studien in Bremen, Kiel und Poznań. Heute lebt sie in Berlin, fühlt sich zuhause in Warschau und reist viel durch die Welt. Sie übersetzt Romane aus dem Polnischen und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache. Ihr Debütroman Und dann essen wir Żurek und fallen vom Himmel ist 2023 im Klak Verlag erschienen.
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