Artur Becker: Warten auf Deutschland und auf Europa sowieso …

Eine grüne Bank steht auf einer Wiese.
© Will Paterson on Unsplash

Einige Schnappschüsse von unterwegs
von Artur Becker

… Elon Musk und Alice Weidel sitzen an einem Stammtisch und diskutieren über den „Kommunisten Adolf Hitler“ … Der Bolschewismus und der Nationalsozialismus kochen hier in einem Topf, was für ein unappetitlicher Brei.   

… mein Zug von Warschau nach Berlin steht an der alten DDR-Grenze in Frankfurt Oder und wartet auf den deutschen Lokführer, der schon eine Stunde Verspätung hat … Wann kommt der Deutsche endlich? 

… in einem Stadtpark von Lodz gibt es auf jeder Sitzbank öffentliches WLAN-Netz. Und die rechts- und nationalkonservative Revolution wurde in Polen im Herbst 2023 von den polnischen Wählern gestoppt. 

… unsere Leute zwischen Berlin und Frankfurt am Main und zwischen München und Hamburg belehren lieber die anderen, wie sie ihre Wildschweine erlegen oder wie sie ihre Verfassung besser beschützen sollen. 

… in ihrem eigenen Zuhause steht ihnen das Wasser bis zum Hals, gibt es unzählige Baustellen (Digitalisierung, Wirtschaftskrise, Migrationskrise, Xenophobie, Antisemitismus), und die AfD feiert mit ihrem rechtsnationalen Populismus Erfolge ‒ ist das stets die einzige Antwort Deutschlands auf globale Krisen?, will man fast schon fragen ‒, aber unsere Leute warnen nur vor den Orbans, Trumps, Kaczynskis und Putins. 

… diese alte Republik ‒ noch ist sie nicht verloren. Sie muss sich hier und da nicht nur neu erfinden, sie muss ihre Eitelkeit ablegen und begreifen, dass neue Technologien und der Fortschritt nicht die einzigen Rettungsmaßnahmen sein dürfen, um ihren eigenen Niedergang zu verhindern. Ihr Denken und ihr Fühlen müssen sich gravierend ändern. Ihre altbackene Einstellung zu Utopien muss verschwinden, und ihre Angst vor der Zukunft darf nicht schon wieder in die faschistoide Sackgasse führen.

… denn wir warten auf Deutschland und auf Europa sowieso, nur dass es nicht mehr allzu langen dauern sollte, bis endlich Reformen kommen. Und der Dialog vor allem. Mit jungen Menschen muss man in den Dialog treten, sich ihre Argumente anhören und dann seine eigenen kritisch hervorbringen. Das Belehren und das Beschimpfen sind autoritäre Methoden, die zu Trotzreaktionen führen. Überhaupt fehlt uns solch ein Dialog, der produktiv wäre ‒ stattdessen ertrinken wir im Defätismus, in der Nörgelei und in apokalyptischen Visionen, was unsere Zukunftsvorstellungen angeht. Damit ist weder der Ukraine noch der deutschen Autoindustrie geholfen. 

Und wir Schreibenden? Welche Antworten liefern wir? Geschichten? Poeme? Essays? Sind wir nicht auch viel zu träge? 

… bald werden Millionen Menschen die AfD wählen, aber das bedeutet nicht, dass diese Wähler Geiseln nehmen dürfen, die dann verständnisvoll auf die den Rechtsextremen geschenkte Stimme reagieren müssten. Es ist nämlich keine Lösung, andere politische Mitbewerber als Lügner zu bezeichnen, die Gesellschaft in Gute und Böse zu spalten und sich selbst als Träger der einzigen Wahrheit hochzustilisieren. 

   

Hotel Libertine, Frankfurt am Main, 12.01.2025 


Porträt von Artur Becker
© Magdalena Becker

Artur Becker

wurde 1968 in Bartoszyce (Masuren)/Polen geboren. Bereits für sein erfolgreiches Lyrikdebüt Der Gesang aus dem Zauberbottich (1998) wurde er mit dem Autorenstipendium der Stadt Bremen ausgezeichnet. Der aus Polen stammende Autor, der 1985 nach Deutschland umsiedelte und in Bremen studierte, schreibt ausschließlich auf Deutsch – seiner Literatursprache. Sein literarisches Terrain umfasst jedoch nachhaltig die Region seiner Kindheit. Artur Becker schreibt Romane, Erzählungen, Gedichte und Aufsätze und ist auch als Übersetzer tätig.

Zum Autorenprofil von Artur Becker

Weiterlesen: