Satzwende: Luca Kieser (1/2)

Ein deutscher Pass wird festgehalten.
© Rike Oehlerking

Von Gott geküsst

Von Luca Kieser

Über Privilegien ins Gespräch zu kommen, stellt eine kniffelige Sache dar. Gerade die, die mehr als andere genießen, wollen oft nichts davon hören. Von außen betrachtet wirkt das bequem, kann aber auch wütend machen, denn absurderweise wird die Überzeugung, dass Privilegien eigentlich keine Rolle spielen, desto stärker, je mehr Privilegien im Spiel sind. Zu einer Entschuldigung lässt sich freilich kaum etwas vorbringen, einzig vielleicht dass Menschen die Welt, in die sie geboren werden, für selbstverständlich nehmen – zumindest erst einmal. Vielleicht ließe sich also darüber streiten, ob es selbst wiederum ein Privileg darstellt, wenn man in die Selbstreflexion gerät, in der man die Wirkung eigener Privilegien erkennt.

 


Was uns Schreibende angeht, so sind solche Fragen definitiv Thema geworden, das kann niemand leugnen, wir brauchen nur an den legendären Artikel Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn! zu denken. Zufall, natürlich, aber kurz nachdem er erschienen war, immatrikulierte ich mich an einer der Schreibschulen, von denen in ihm die Rede ist – und entschied mich damit, einige Jahre später mit nichts in der Tasche als den Abschlüssen in Philosophie und Sprachkunst auf den Arbeitsmarkt zu schlittern – ein solches Wagnis geht nur ein, wer im worse case weich fällt.

Genau daran soll es jedenfalls erinnern, wenn der Ich-Erzähler in PINK ELEPHANT das ist, ein Arztsohn. Es ist 2006 und Vincent steckt in einem Herr-der-Diebe-Faschingskostüm, als er von Ali und Tarek verprügelt wird. Ein Sommermärchen beginnt, weil die drei sich – aller Erwartung zum Trotz – anfreunden und einerseits eine stinknormale Coming-of-Age-Geschichte mit ersten Zigaretten und nervenden Eltern durchmachen, andererseits aber auch immer wieder erleben müssen, wie verschieden sie behandelt werden – und an wen die Gesellschaft glaubt.


Ich will ehrlich sein, ich habe lange an PINK ELEPHANT gearbeitet und immer wieder meine Zweifel gehabt. Ohne meinen Kollegen und Freund Muhammet Ali Baş hätte ich das Manuskript irgendwann in die Schublade vermodern lassen. Er hat dabei nicht nur an mich geglaubt, durch die Gespräche mit ihm habe ich auch gelernt, dass es das eine ist, welche Privilegien man hat – das andere, wie man mit ihnen umgeht. Niemand sollte sich schlecht fühlen, weil er von Gott geküsst auf die Welt kommt – entscheidend ist, was sie, was er, was wer auch immer daraus macht.

Luca Kieser
© Ina Aydogan

Luca Kieser

wurde 1992 in Tübingen geboren. Er studierte Philosophie sowie Sprachkunst in Heidelberg, Leipzig und Wien, wo er heute lebt. Ausgezeichnet wurde er unter anderem mit dem Wortmeldungen Förderpreis, dem Lyrik-Lichtungen-Stipendium und dem FM4 Wortlaut. Sein Debütroman Weil da war etwas im Wasser stand drei Mal in Folge auf der ORF-Bestenliste und war für den Deutschen Buchpreis 2023 nominiert. Sein zweiter Roman Pink Elephant ist von Books at Berlinale 2025 ausgewählt

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